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Kämpfen wirkt. Streiken lohnt sich. Sich wehren gibt Würde zurück

Ausgerechnet in den Medien! 40 Jahre nach dem letzten bedeutenden Streik in Schweizer Redaktionen führen im laufenden Jahr die Belegschaften in zwei Medienunternehmen intensive Arbeitskonflikte und legen zeitweise die Arbeit nieder.

Stephanie Vonarburg*

Blick zurück: Im September 1978 protestierten die JournalistInnen der «Tat» gegen die Entlassung des Chefredaktors und die Neuausrichtung der Tageszeitung. Darauf entscheidet der Verleger und Migros-Chef, das Blatt sofort einzustellen. Im Konflikt bekämpft die Belegschaft die fristlosen Entlassungen und erstreitet sich auf dem Rechtsweg die Löhne während der Kündigungsfrist.

Streik! Ein legitimes Mittel im Arbeitskampf der SDA-RedaktorInnen

Vierzig Jahre später, 100 Jahre nach dem Landesstreik, erlebt die Schweiz zwei grosse Arbeitskonflikte in den Redaktionen. Am 23. Januar kommt es bei der Schweizerischen Depeschen-Agentur SDA zu einem Warnstreik. Grund: Die Anfang Januar angekündigte Massenentlassung mit einem Stellenabbau von 36 Vollzeitstellen, rund einem Viertel der Redaktion. Dass die Unternehmensleitung im Konsultationsverfahren rücksichtlos vorgeht und schnell zu den Entlassungen schreitet, empört das gesamte Personal. Vor allem auch weil kein Plan existiert, wie die Arbeit mit durch weniger Personal bewältigt werden kann. Nachdem der CEO dann in den Medien abfällige, wenig respektvolle Äusserungen über die eigenen Angestellten macht, beschliessen die RedaktorInnen mit über 100 Stimmen, am 30. Januar in den Streik zu treten .

Nach vier Streiktagen, am 2. Februar, entscheidet die Redaktionsversammlung, den Streik zu Gunsten von Verhandlungen mit dem Verwaltungsrat zu sistieren. Nach einigen Verhandlungsrunden ruft der VR die Eidgenössische Einigungsstelle zur Beilegung von kollektiven Arbeitsstreitigkeiten um Vermittlung an. Nach einem langwierigen Verfahren resultiert eine Lösung, welche das Personal Ende Juni annimmt: der Abbau wird zwar nicht verhindert doch der Streik ermöglicht einen aussergewöhnlichen Erfolg: die über 60-jährigen Arbeitnehmenden (bei den Männern über 61-Jährigen) erhalten das Angebot zur Wiedereinstellung. Zusätzlich konnte der Sozialplan auf einem hohen Niveau abgeschlossen werden. Und eine Abstrafung der Streikenden konnte abgewendet werden: keine Lohnkürzung während der Streiktage und ein zusätzlicher Monatslohn an alle Entlassenen für die Dauer der direkten Verhandlungen mit dem VR.

Der SDA-Streik ist in wesentlichen Punkten erfolgreich, das Personal hat sich gemeinsam erfolgreich  gewehrt, es hat viel Anerkennung und Solidarität von anderen BerufskollegInnen und von PolitikerInnen bekommen, es sieht sich gewerkschaftlich gestärkt.

Die Faust im Sack ist keine Option mehr. Das Tamedia-Personal der Romandie tritt in den Streik

Am 27. Juni 2018 unterschreiben die Redaktionskommission der SDA zusammen mit der Gewerkschaftsvertretung die Einigung und den Sozialplan und würdigen das Resultat an einer Pressekonferenz. Am gleichen Tag kommt abends der nächste Abbauhammer: Tamedia gibt bekannt, die Westschweizer Tageszeitung Le Matin per 21. Juli einzustellen und 41 Personen zu entlassen. Tags darauf protestieren alle Westschweizer Tamedia-Redaktionen (24 Heures, Tribune de Genève, Le Matin, Le Matin Dimanche, teilweise auch 20 Minutes) in einer Platzkundgebung gegen den Abbau. Dann am 3. Juli fällt die Redaktionsversammlung den Entscheid, sogleich in den Streik zu treten. Am dritten Streiktag schaltet sich der Waadtländer Kantonsregierung in den Personen von Regierungsratspräsidentin Nuria Gorrite und Regierungsratsmitglied Philppe Leuba ein und bieten offensiv ihre Mediationsdienste an.

Die Versammlung beschliesst am 5. Juli, den Streik zu sistieren. Tamedia nutzt die Demobilisierung aus und bricht die Schlichtungsgespräche einseitig ab. Die angerufene kantonale Schlichtungsstelle nimmt die Arbeit erst nach den Sommerferien Mitte August auf. Die Verhandlungen zur Rettung von Stellen, für einen Abbau-Stopp, für die Verbesserung der Mitwirkungsrechte des Personals und für den Sozialplan laufen intensiv. Die Arbeitnehmenden setzen sich gleich zu Beginn bei der umstrittenen Zusammensetzung ihrer Delegation durch, so dass neben der Vertretung der betroffenen Redaktionen auch syndicom am Verhandlungstisch akzeptiert werden muss. Das Resultat der Verhandlungen ist bei Redaktionsschluss noch nicht bekannt.

In der Medienbranche brodelt es. Rücksichtlose Verleger nehmen Streiks in Kauf

Die lange Jahre wenig kämpferischen Redaktionen stehen zusammen und wehren sich. Wo sie auf dem Verhandlungsweg anfänglich auf Mauern stossen, greifen sie nach Warnstreiks und Protestkundgebungen zum letzten Mittel des Streiks. Erst danach können die Anliegen und Forderungen der Arbeitnehmerschaft in den Verhandlungen mit gestärktem Rücken eingebracht werden. Für den Streik braucht es viel; aber es lohnt sich, beherzt, entschlossen und geschlossen zu streiken. Die Forderung nach Medienvielfalt und Rettung von Titeln ist aber auch 40 Jahre nach dem Tat-Streik bisher nicht mit den Mitteln des Arbeitskampfes durchzusetzen. Hier ist der gewerkschaftliche Einsatz auf medienpolitischer und gesellschaftlicher Ebene gefragt.


* LeiterinSektor Medien und Vizepräsidentin von syndicom

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