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Kein Platz für Bücher an der Bahnhofstrasse

Nicht nur die Zürcher Prachtstrasse verödet. Auch der Buchmarkt der Stadt verliert ein herausragendes Angebot. 

 

Schnickschnack für das gepflegte Heim anstelle von englischsprachiger Literatur: An der Zürcher Bahnhofstrasse schliesst die Buchhandelskette Orell ­Füssli Thalia (OFT) zum 1. Mai nächsten Jahres ihren Bookshop. Der spanische Moderiese Zara, der in direkter Nachbarschaft bereits das Bally-Haus belegt, übernimmt für ein Schlüsselgeld von angeblich 2,5 Millionen Franken den laufenden Mietvertrag. Er wird auf den 500 Quadratmetern künftig seine Einrichtungslinie präsentieren.

Das Aus der grössten englischsprachigen Buchhandlung auf dem europäischen Kontinent sei «betriebswirtschaftlich unumgänglich», liess sich OFT Mitte August von «Blick online» zitieren. «The Bookshop» werde in das Hauptgeschäft am nahe gelegenen Kramhof umziehen, erklärte die Geschäftsleitung auf getrennten Personalanlässen der beiden Filialen. Und konnte oder wollte nicht sagen, wie genau man sich diesen Umzug vorstelle.

Viele Fragen, keine Antwort

Elisabeth Fannin, die bei syndicom für die Branche Buch und Medienhandel zuständig ist, berichtet, dass sämtliche für die Buchhändlerinnen und Buchhändler entscheidenden Fragen unbeantwortet blieben: Wie soll das englischsprachige Sortiment im Kramhof integriert werden? Werden dort bisherige Abteilungen abgebaut? Sollen zum Beispiel die Kunst- und Architekturbücher verschwinden? Diese schweizweit bestsortierte Abteilung ist ja verständlicherweise nicht gerade ein Verkaufsschlager. Und die wichtigste Frage: Kommen die zwanzig Buchhändlerinnen und Buchhändler des Bookshops im Kramhof unter oder wird es Entlassungen geben? All das liess die Geschäftsleitung Mitte August offen.

«Sehr verhaltene Stimmung»

Und auch jetzt, zwei Monate später, hat sie sich gegenüber der MitarbeiterInnen-Vertretung noch nicht genauer erklärt. Deren Mitglieder pochen vergeblich auf ein mit dem Unternehmen vereinbartes Reglement. Und zumindest in dem Punkt räumt OFT mittlerweile Fehler ein. «Die Kommunikation war nicht optimal und wird in Zukunft verbessert», sagt Firmensprecher Alfredo Schiliró gegenüber syndicom.

Kein Wunder, dass die Stimmung unter den bisher neunzig Beschäftigten des Kramhofs «sehr verhalten» ist, wie eine Buchhändlerin erzählt (Name der Redaktion bekannt). Sie dürfte untertreiben. Ihr Laden war einmal das Flaggschiff von Orell Füssli. Dessen Fusion mit Thalia im Jahre 2013 ist den Beschäftigten nicht gut bekommen. Wie steht es überhaupt um ihr Geschäft, das unter der Verlagerung des Buchkaufs ins Internet erheblich leidet? Als Folge der neuen Thalia-Software haben sie keine Einsicht mehr in die Bezugsbedingungen der Bücher. Sie können deshalb nicht wissen, welche Konditionen ihr Unternehmen aufgrund der Frankenstärke bei deutschen Auslieferern ausgehandelt hat. Auch keine Freude für gelernte Buchhändler: Sie müssen immer mehr Kram verkaufen («Non-Books»), um die Verluste aufzufangen. Und das seit Jahresbeginn auch noch wöchentlich anderthalb Stunden länger. Eine Angleichung an die Arbeitsbedingungen in den früheren Thalia-Läden, die ihnen nicht bezahlt wird. Und jetzt auch noch Ungewissheit. Die Buchhändlerin sagt: «Niemand weiss, wie es nach dem 1. Mai mit uns weitergeht.»

Dabei bestritt OFT gegenüber den Beschäftigten nicht, dass der Bookshop gut lief. Er erwirtschaftete schwarze Zahlen, trotz der horrenden Mieten an der Bahnhofstrasse. Zwei Millionen Franken jährlich soll der Buchladen bezahlt haben, schätzen Insider der Immobilienbranche.

Die Bahnhofstrasse verödet

In den letzten 10 bis 15 Jahren haben sich die Preise praktisch verdoppelt, weiss Markus Hünig, der Präsident der «Vereinigung Zürcher Bahnhofstrasse». So wie der Bookshop gaben viele Läden auf. Dafür zogen Filialen internationaler Ketten aus Marketing-Überlegungen an der Bahnhof­stras­se ein, die ein Minusgeschäft verkraften. Man habe die Eigentümer wiederholt darauf hingewiesen, wie sehr die Prachtstrasse an Attraktivität verliere, ergänzt Andreas Zürcher von der City-Vereinigung. Aufzuhalten sei diese Entwicklung aber nicht: «Letztlich entscheidet das Geld.»

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