Artikel

Länger arbeiten und mehr zahlen ...

Seit bald drei Jahren laufen die Beratungen zur grossen Reform der Altersvorsorge. Der Ständerat hatte vor einem Jahr – ganz «Zuckerbrot und Peitsche» – einen Kompromiss geschmiedet, der zwar harte Einschnitte für die Arbeitnehmenden vorsah, gleichzeitig aber auch griffige Kompensationen bot. Der Nationalrat setzt nun wie befürchtet nur noch auf die Peitsche. Eine Allianz aus SVP, FDP und GLP setzte die Arbeitgeberinteressen gnadenlos um. Im Winter muss der Ständerat die Reform nochmals beraten und versuchen zu retten, was noch zu retten ist. 

 

Ein Blick zurück: Um eine mehrheitsfähige Reform zimmern zu können, sollen die AHV und die berufliche Vorsorge nach dem Willen des Bundesrats gemeinsam behandelt werden. Sowohl die Senkung des Mindestumwandlungssatzes auf 6 Prozent wie auch die Erhöhung des Frauen­renten­alters auf 65 sollen dabei mit einem Strauss an Kompensationen abgemildert werden. So sah der Bundesrat zum Beispiel vor: einen moderaten Ausbau der Pensionskassen, Verbesserungen für Arbeitnehmende mit einer langen Erwerbsbiografie, eine Einschränkung der Gewinn­abschöpfung durch die privaten Versicherungskonzerne sowie eine saubere AHV-Finanzierung für die Babyboomer-Generation mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer von 1,5%.

Zum Erstaunen vieler hat der Ständerat im letzten Sommer aus dem Bundesratsvorschlag eine mehrheitsfähige Vorlage geschnürt. Eine Mehrheit hatte offensichtlich erkannt, dass Rentensenkungen nur über die AHV kostengünstig und gezielt kompensiert werden können, und deshalb den AHV-Zuschlag von 70 Franken für Neurentner und die Erhöhung des Ehegattenplafonds um 155 Franken beschlossen.

Ideologie vor Verstand: Im Eiltempo zum Rentenalter 67

Die Mehrheit des Nationalrats warf in der Herbstsession 2015 alle Kompromissbemühungen über den Haufen. Anstelle der austarierten Ausgleichsmassnahmen soll nun das Rentenalter für alle auf 67 Jahre klettern, ungeachtet jeglicher Realität am Arbeitsmarkt.

Und noch unverständlicher werden die Beschlüsse des Nationalrats, wenn der Preis dafür genauer betrachtet wird. Der massive Ausbau der 2. Säule wird jährlich um die 4,5 Milliarden Franken kosten. Die Kosten sind gegenüber den 3,2 Milliarden des Bundesrats oder den 1,5 Milliarden des Ständerats eindeutig höher. Bei einem Jahreslohn von 70 000 Franken würde dies einen zusätzlichen Abzug von über 1500 Franken jährlich bedeuten, sowohl für die Versicherten als auch für die Firmen. Der Nationalrat will einen «Interventionsmechanismus» für die AHV: Sollte der AHV-Fonds-Saldo unter 80% einer Jahresausgabe sinken, würde das Rentenalter automatisch bis auf 67 Jahre erhöht. Anstatt reinen Wein einzuschenken, verschleiert der Nationalrat das Rentenalter 67 hinter diesem Automatismus. Und damit das Rentenalter 67 möglichst rasch eintritt, wird die AHV bewusst unterfinanziert.

Die Nationalrats-Mehrheit will die Mehrwertsteuer lediglich um 0,6% erhöhen, obwohl 1% bis 1,5% nötig wären. Rentnerinnen und Rentner haben deshalb keine Stabilität: Ihre AHV ist mit einer solchen Finanzierung im kommenden Jahrzehnt nicht ausreichend gesichert.

Versicherungskonzerne sind die wahren Gewinner

Die wahren Gewinner dieser Vorschläge des Parlaments sind die privaten Anbieter, die auch in Zukunft legal jährlich rund 600 Millionen Franken von den Versicherten abschöpfen können. Eine gerechtere Lösung der Gewinnverteilung hat der Nationalrat abgelehnt. Die längst überfällige Erhöhung der sogenannten Legal Quote von 90% auf mindestens 92% soll nicht angegangen werden. Somit ver­sickern weiterhin Milliarden an Renten bei den Lebensversicherungsgesellschaften.

Immerhin konnten die Gewerkschaften die Erhöhung der frühestmöglichen Pensionierung von 58 auf 62 Jahre im Nationalrat bremsen. Der Nationalrat hat den Einzelantrag von Gewerkschafterin Edith Graf angenommen und sich dafür ausgesprochen, dass das Mindestrücktrittsalter bei 60 und nicht bei 62 Jahren liegen soll. Das vehemente Insistieren auf der kostenneutralen und selbstfinanzierten Frühpensionierung hat sich gelohnt. Somit werden die Pensionskassen und die Sozialpartner nicht unnötig eingeschränkt.

Der Ball liegt nun beim Ständerat

Die Vorschläge des Nationalrats sind unreife Schnellschüsse. Die explodierenden Kosten für die ArbeitnehmerInnen und die Unternehmen werden es im Ständerat schwer haben. Für die Mehrheit der Arbeitnehmerverbände gibt die kritische Frage einer Erhöhung der AHV und des Ehegattenplafonds den Ausschlag, ob sie der Reform eine Zukunft geben. Noch einmal: Die Senkungen in der 2. Säule und die Erhöhung des Frauenrentenalters können nur über die AHV effizient und gezielt kompensiert werden.

Von dem vorgeschlagenen massiven Ausbau der 2. Säule profitieren grundsätzlich die hohen Löhne am stärksten – bereits heute ist die Kluft zwischen den sehr tiefen und sehr hohen Renten gross. Der Nationalrat will diesen Graben vergrössern.

Der Glaube an eine mehrheitsfähige Reform ist geschwunden. Das Dilemma bleibt: Fast alle Verbände und Parteien sind auf eine Reform angewiesen, auch die Gewerkschaften, insbesondere um die AHV-Finanzierung auch für die Zukunft zu sichern.

* Urban Hodel ist Geschäfts­führer des PK-Netzes, eines Netzwerks aus 17 Gewerkschaften und Verbänden. Es versteht sich als BVG-
Plattform der Arbeitnehmenden. www.pk-netz.ch

Informiert bleiben

Persönlich, rasch und direkt

Du willst wissen, wofür wir uns engagieren? Nimm Kontakt zu uns auf! Bei persönlichen Anliegen helfen dir unsere Regionalsektretär:innen gern weiter.

syndicom in deiner Nähe

In den Regionalsekretariaten findest du kompetente Beratung & Unterstützung

Jetzt Mitglied werden