Artikel

Landesverräter zwischen den Fronten

Der Ukraine-Konflikt ist auch ein Informationskrieg, der JournalistInnen auf beiden Seiten gefährdet.

 

Ein Schnappschuss vom Kriegsschauplatz Ostukraine (s. Bild): Ein Journalist liegt am Boden. Obwohl er eine kugelsichere Weste mit der Aufschrift «Press» trägt, wird er von einem bewaffneten Kämpfer verfolgt. Seit dem Ausbruch des Bürgerkrieges in der Ostukraine vor vierzehn Monaten sind mindestens acht Medienschaffende bei der Ausübung ihrer Arbeit getötet worden.

Im Ukraine-Konflikt sind Journalisten nicht nur Opfer von Gewalt, sie werden in einem Informationskrieg auch instrumentalisiert. Die Konfliktparteien werfen sich gegenseitig Propaganda und Hassreden vor. Am staatlich kontrollierten russischen Fernsehen heisst es: «Die Ukraine wird von einer faschistisch-nazistischen Junta kontrolliert.» Auf der Gegenseite führt die ukrainische Regierung eine «antiterroristische Operation» gegen die Aufständischen. Die Bewohnerinnen und Bewohner in den «Volksrepubliken» Lu­gansk und Donezk sind empört: «Wir sind doch ukrainische Bürger, keine Terroristen.»

knallharter informationskrieg

Der Bürgerkrieg in der Ukraine und die neue Ost-West-Spannung waren Anlass einer zweitägigen Konferenz in Wien zum Thema «Sicherheit von Journalisten. Medienfreiheit und Pluralismus in Zeiten von Konflikten», durchgeführt von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). «Es ist schlimmer als zur Zeit des Kalten Krieges», meint der ukrainische Journalist Yevhen Fedchenko. Die russische Regierung habe die Information in eine Waffe verwandelt. Mit dem englischsprachigen Fernsehkanal RT («Russia Today») und dem in dreissig Sprachen produzierenden Nachrichtenportal «Sputnik» sei es Moskau gelungen, einen globalen Informationskrieg vom Zaun zu brechen.

Paula Slier, eine Mitarbeiterin von RT, widerspricht: »Es war höchste Zeit, dass der Westen neben CNN, BBC und Voice of America auch andere Gesichtspunkte zu hören bekommt.»

Der britische Medienspezialist Aidan White verweist auf das angeschlagene Image führender amerikanischer Medien. Weil sie die Propaganda der Bush-­Regierung zur Rechtfertigung des Irak-Krieges übernommen hätten, seien noch heute viele Amerikaner überzeugt, Saddam Hussein habe über Massenvernichtungswaffen verfügt und sei ein Drahtzieher der Anschläge von 9/11 gewesen. «Offensichtlich haben Lügen einen Langzeiteffekt, auch in Ländern mit freien Medien», meint White.

Mikhail Zygar ist Chefredaktor der einzigen unabhän­gigen russischen Fernseh­anstalt «Doschd» (Regen). «Gerade weil wir gezwungen sind, gegen die vom staatlichen Fernsehen verbreitete Propaganda anzukämpfen, gibt es in Russland immer noch unabhängige Medien mit hohem journalistischem Niveau.» «Doschd» erreiche wieder 15 Prozent der städtischen Mittelschicht, nachdem der Sender unter dem Druck des ­Kremls fast zusammengebrochen sei. Zygar: «Solange wir weiterkämpfen, kann uns das Regime nicht vernichten.»

Der Journalistenausbildner Boro Kontić aus Sarajevo erinnert an die Jugoslawien-Kriege in den 90er-Jahren: «Wer damals als Journalist die Wahrheit schreiben wollte, wurde entlassen oder musste mit dem Tod rechnen.» In Kriegszeiten erwarte die Öffentlichkeit von Journalisten, dass sie als Patrioten Partei ergreifen.

Schwierige Vermittlung zwischen den Fronten

Die Medienbeauftragte der OSZE, Dunja Mijatović, will zwischen den Journalistenverbänden von Russland und der Ukraine vermitteln. In Wien haben die Verbände ein Handbuch mit Tipps für Journalisten in Konfliktsituationen veröffentlicht (s. Link unten). In ihrem Land riskieren sie allerdings, als «fünfte Kolonne» und Landesverräter abgestempelt zu werden, weil sie mit dem «Feind» Gespräche führen.

Informiert bleiben

Persönlich, rasch und direkt

Du willst wissen, wofür wir uns engagieren? Nimm Kontakt zu uns auf! Bei persönlichen Anliegen helfen dir unsere Regionalsektretär:innen gern weiter.

syndicom in deiner Nähe

In den Regionalsekretariaten findest du kompetente Beratung & Unterstützung

Jetzt Mitglied werden