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«Le Temps» perdu?

Einbruch der Leserzahlen, Führungswechsel, Umzug nach Lausanne, Schaffung eines Newsrooms: Innert weniger Tage hat Ringier im September gleich mehrmals Schlagzeilen gemacht – ohne die Journalistinnen und Journalisten einzubeziehen. 

 

Für die Direktion von Ringier Romandie lassen sich die Dinge prächtig an. Über Monate hinweg liess man die RedaktorInnen von «Le Temps» im Ungewissen über ihre Zukunft, über einen möglichen Verkauf und die Identität der potenziellen Käufer – so hatten sie genug Gelegenheit, von sich aus zu künden. Der WEKO gegenüber hatte man versichert, dass alle Optionen geprüft worden seien. Dann kam der Eklat: die Übernahme von «Le Temps» durch Ringier war beschlossen – eine «Herzenssache», wie sich Ringier-CEO Marc Walder ausdrückt.

Ein Coup nach dem anderen

Dann ging es Schlag auf Schlag, mit gutem Gefühl fürs Timing: Am 6. September – am Tag, an dem «Le Temps» zum fünftausendsten Mal erschien – wurde bekannt, dass die WEKO der Übernahme der Tamedia-Anteile durch Ringier zum Preis von 9,2 Millionen Franken schon zugestimmt hatte. – Am 9. September erschien der neue Bericht der WEMF AG für Werbemedienforschung: die Leserzahlen von «Le Temps» sind im Vergleich zum Vorjahr um 10 000 und jene von «L’Hebdo» um 15 000 eingebrochen. Am gleichen Tag wurde bekannt: sowohl der Chefredaktor als auch die Chefin von Le Temps SA würden das Unternehmen verlassen. Und am 10. September kündigte Ringier an, was schon seit Wochen vermutet wurde: die Redaktion werde im zweiten Quartal 2015 von Genf nach Lausanne ziehen, und um neue Synergien aufzubauen, sollen die Redaktionen von «Le Temps», «L’Hebdo» und «Edelweiss» in einem neuen Newsroom zusammengefasst werden. Zudem, so hiess es, solle das Online-Angebot stark ausgebaut werden.

«... nämlich Unternehmen aus dem Luxussektor»

Wenn Ringier in bester Manier des Geschichtenerzählens die Konsolidierung einer kriselnden Zeitung ankündigt, klingt das gewiss gut – jedoch darf man vermuten, dass Ringier in erster Linie wirtschaftliche Ziele verfolgt. Dazu passt, was Daniel Pillard, Chef von Ringier Romandie, zur Zusammenarbeit mit dem Hochglanzmagazin «Edelweiss» meint: «Das Magazin spricht ähnliche Inserentengruppen an wie ‹Le Temps›, nämlich Unternehmen aus dem Luxussektor. Deshalb wäre eine Annäherung naheliegend» («24 heures», 2. 7.). Für Journalisten­ohren klingt das nicht erfreulich. Die Alt-Ständerätin und ehemalige Lausanner Stadtpräsidentin Yvette Jaggi vom Freundeskreis des «Temps» meint denn auch, dass «für die Aktionäre in Zukunft die Priorität auf Einsparungen liegen wird. Sie visieren eine Rendite von 8% an. Diese Zahl ist aber unrealistisch» («Domaine Public», 11. 9.).

Qualität und Substanz?

Bisher sind noch keine Kündigungen ausgesprochen worden. Es kursieren Gerüchte, denen zufolge in naher Zukunft beim administrativen Personal ­zwanzig sowie beim journalistischen Personal fünfzehn Stellen gestrichen werden. Die Vereinigung der Angestellten und RedaktorInnen von «Le Temps» sorgt sich um «den Erhalt von grundlegenden Werten» und um die «verlegerische Ausrichtung» der Zeitung. Sie bedauert, dass sie bei der Planung des Umzugs nach Lausanne und der Konzipierung des Newsrooms nicht beigezogen wurde, obwohl der GAV dies vorsieht. Eric ­Hoesli, der erste Chefredaktor von «Le Temps», warnt vor der «Gefahr eines Qualitäts- und Substanzschwundes» («La Liberté», 11. 9.).

Auch syndicom ist sehr besorgt um die Zukunft der drei Titel von Ringier Romandie. syndicom unterstützt die von der Reorganisation betroffenen Mitglieder in ihrer Forderung nach Mitsprache bei allen weiter geplanten Schritten.

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