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Lukratives Geschäft mit Adressen

Tamedia, Swisscom (und inzwischen auch Ringier) kämpfen um Local.ch. Damit rücken sie das bisher wenig beachtete, aber lukrative Geschäft mit Adressen und Telefonverzeichnissen ins Scheinwerferlicht. Der Aufstieg von Local.ch ist ein spannendes Kapitel in der Pressegeschichte. Karl Lüönd

 

Schon in den Sechzigerjahren war die Publicitas, die Vermittlerin von Zeitungsinseraten, Pächterin des Anzeigenteils der offiziellen Telefonbücher des damals noch staatlichen Fernmeldebetriebs PTT gewesen. Sie betrieb dieses Nebengeschäft aber auf kleiner Flamme, um die Zeitungsverleger nicht zu ärgern.

Dass hier viel Potenzial unausgeschöpft blieb, wurde erstmals 1968 deutlich, als die amerikanische Telekommunikationsfirma ITT ankündigte, Branchenverzeichnisse in Form der weltbekannten «Yellow Pages» herauszugeben. Der Schweizer PTT versprach sie, die pro Ausgabe 10 Millionen Franken betragenden Druckkosten der schweizerischen Telefonbücher zu übernehmen. Die verlockende Offerte lag bereits auf dem Tisch des zuständigen Bundesrats Rudolf Gnägi.

Patriotischer Schulterschluss

Das war die Geburtsstunde der A- und B-Bände. Das A-Buch (A für «amtlich») war werbefrei, das B-Buch (B für «Branchen») enthielt Werbung. Trotz der eindeutig besseren Offerte der Amerikaner funktionierte der patriotische Schulterschluss. Mit dem Segen des Zeitungsverlegerverbandes ging der Auftrag für die Anzeigenregie an eine gemeinsame Gesellschaft von Publicitas und ihren damals noch selbständigen Konkurrenten OFA, ASSA und Mosse.

In den Achtzigerjahren etablierte sich auf diesem unauffälligen, aber lukrativen Markt als starker Konkurrent der Bertelsmann-Konzern mit der Lokaltelefon-Verzeichnis AG (LTV), die ab 1984 von Robert ­Schmidli geleitet wurde. 1995 zählte LTV über 100 lokale Verzeichnisse und 400 Mitarbeitende im Aus­sendienst. 1995 gewann sie auch die Ausschreibung der Telekom (Vorgängerin von Swisscom) für die Vermarktung der Anzeigen in den offiziellen Telefonbüchern gegen ein Konsortium aus Mosse Adress AG, Publicitas und Basler Zeitung. Ende 1996 gab Bertelsmann seine 55 Prozent an der LTV ab, weil der Konzern Geld brauchte für die Übernahme des Fernsehsenders RTL.

Die PubliGroupe, damals Wunschkandidatin des LTV-Managements, kaufte die Aktien zu einem hohen Preis. Alle Verzeichnisgeschäfte der beiden Firmen wurden zusammengelegt. 1997 wurde mit Ringier, die sich ebenfalls um die Übernahme von LTV bemüht hatte, die LTV-Ringier Media AG mit Beteiligung der Telekom für die Vermarktung der offiziellen Telefonbücher gegründet. Ringier wollte sich vor allem die enormen Druckaufträge sichern. Es war die Zeit des her­aufkommenden Internets und zugleich der Privatisierung der Telefonie: die Geburtsstunde der Swiss­com (1998).

Längst ging es nicht mehr nur um Telefonbücher, sondern um die digitalisierten Adressdaten als Grundlage für lokale Service-Plattformen. Der Bewirtschafter der Datenbanken und der Vermarkter brauchten einander zwingend. Folglich nahm 1999 ein neues Joint-Venture den Betrieb auf: LTV Gelbe Seiten und Swisscom Directories gingen Kreuzbeteiligungen (51/49 Prozent bzw. 49/51 Prozent) ein.

2005 wurde die Local.ch AG gegründet, deren Technologie den Swisscom-eigenen Internetplattformen (Gelbeseiten.ch und Weis­seseiten.ch) technisch überlegen war. Nach kurzer Zeit wurden die drei Plattformen zusammengelegt. Die Vision war und ist, nicht nur Verzeichnisse anzubieten, sondern umfassende lokale Dienstleistungsplattformen für die Organisation des Alltags aufzusetzen – von der Restaurant-Reservierung bis zur Bestellung von Blumen. Man will nicht nur mehr Werbeeinnahmen generieren, sondern auch durch Transaktionsgebühren und Kommissionen Geld verdienen. Die Kundenstruktur – Zehntausende von KMU – ist denkbar attraktiv und robust.

Grosse Pläne der Grossen

Vorübergehend gingen die ­Ideen der obersten Chefs von Swiss­com und PubliGroupe noch viel weiter. Anfang 1999 schlugen Swisscom-Präsident Markus Rauh und CEO Tony Reis vor, sich an der Publicitas-Gruppe zu beteiligen. Beide Firmen waren sich einig in der Sorge, «die Schweiz könnte bei Multimedia ebenso aus der Kurve getragen werden wie beim Privatfernsehen und bei der Informatik», wie im damaligen Protokoll des Verwaltungsrats der PubliGroupe steht.

Swisscom würde aus­ser den Verzeichnissen auch ihre Multi­media-Aktivitäten in die Ehe bringen, vor allem ihren Internetprovider Blue Window. Ende des Jahres 1999 schlug Tony Reis vor, die Kontrolle über die Publi­Groupe zu übernehmen und gemeinsam eine neue Internetgesellschaft zu gründen. Die PubliGroupe dachte an ihre vielen politisch heiklen Pressebeteiligungen und signalisierte Unwohlsein. Aber die Idee wurde überaus ernst genommen. Spitzenleute von beiden Seiten tagten in Arbeitsgruppen. Schon nach wenigen Monaten wurde das Projekt begraben, vermutlich aus politischen Gründen.

Wie auch immer: Der Bereich «Search & Find» mit den ­Marken Local.ch, Local.fr und Home.ch ist seit vielen Jahren einer der grössten und verlässlichsten Geldverdiener der PubliGroupe. Im Jahr 2013 hat diese Plattform 200 Millionen Franken Umsatz und eine Ebit-Marge von 25 Prozent erzielt. Mit über 2,2 Millionen Downloads zählt Local.ch zu den beliebtesten Apps in der Schweiz; sie ist Nummer 1 beim Besucheraufkommen.

Im März 2014 wurde der Online-Service gemäss Net-Metrix-Audit 4,393 Millionen Mal aufgerufen. Für keine andere Schweizer Website, nicht einmal die der SBB, wird zurzeit ein höherer Wert ausgewiesen.

Es bestätigt sich, was der Branchenpionier Robert Schmidli ein Vierteljahrhundert lang gepredigt hat: Directories und digitale Lokal-Plattformen haben noch viel unausgeschöpftes Potenzial. Der derzeitige Übernahmekampf, an dem sich Tamedia und die Swiss­com [und Ringier] beteiligen, wird entsprechend heftig sein.

Erstpublikation in der NZZ vom 6. 5. 14

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