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Märchen aus dem Entwicklungsland Schweiz

In «Die göttliche Ordnung» zeigt Regisseurin und Drehbuchautorin Petra Volpe («Traumland»), wie in einer Umbruchzeit politisches Bewusstsein entstehen kann. Ein mitreissender und märchenhafter Film aus einer Schweiz, die heute Lichtjahre weit entfernt scheint.

 

Die Schweiz der frühen 70er-Jahre war ein Land der extremen Gegensätze. Zwar hatte die Hippie- und Anti-Vietnamkriegs-Bewegung auch hierzulande bereits ab 1967 erste schüchterne Gehversuche gemacht und war spätestens seit Juni 1968 mit dem Zürcher «Globus-Krawall» ins Bewusstsein einer behäbigen Schweizer Öffentlichkeit gedrungen. Rockmusik und «Peace and Love» wurden zum rasch wachsenden jugendkulturellen Phänomen und Ausdruck einer hereinbrechenden neuen Zeit.

Erlaubnis vom Ehemann

«Aber in unserem Dorf hat man von dem, was in der Welt draussen los war, rein gar nichts gespürt», sagt in der Eröffnungsszene von «Die göttliche Ordnung» die etwas gar stark ostschweizerisch gefärbte Off-Stimme von Marie Leuenberger. Sie verkörpert im Film die Hauptfigur Nora, eine biedere Hausfrau und Mutter zweier Kinder.

Archivaufnahmen einer Anti-Viet­namkriegs-Demo in den USA liefern dazu den Kon­trast und gehen bruchlos über in eine Gesamtansicht des idyllisch an einem Hang gelegenen Trogen im Appenzeller Vorderland. Eine verheiratete Frau, die arbeiten wollte, musste in der Schweiz von damals eine schriftliche Erlaubnis ihres Ehemannes haben, und eine unverheiratete junge Frau, die es wagte, eine Liebesbeziehung zu leben, musste damit rechnen, als «Dorfmatratze» beschimpft zu werden. Und falls die Beziehung auseinanderging und die Frau sich irgendwann neu verliebte, konnte dies für den Staat Anlass sein, mit aller Härte zuzuschlagen: Eine Frau mit solch «lasterhaftem Lebenswandel» – wie das hiess – geriet in die Mühlen administrativer Massnahmen, sprich: Inhaftierung auf unbestimmte Zeit. Bereits an den letztjährigen Solothurner Filmtagen hatte man in dem auf realen Schicksalen basierenden TV-Film «Lina» von Regisseur Michael Schaerer («Stationspiraten») sehen können, wie Behörden eines – ebenfalls Ostschweizer – Dorfes in den 1970ern das Leben der Titelheldin nachhaltig zerstörten. Als Sub-Plot erleidet nun in «Die göttliche Ordnung» eine Nebenfigur, Hanna, die Tochter von Noras Schwägerin Therese, ein ähnlich drastisches Schicksal.

Demokratie ohne Frauen

Da passt es wie das Tüpfchen aufs i, dass in einer Welt mit derart rigiden, bösartigen Normen den Frauen auch das vielleicht elementarste Recht vorenthalten wurde, das eine zivilisierte Gesellschaft charakterisiert, das Stimm- und Wahlrecht. Und es waren nicht nur Männer, die sich dafür verwendeten, dass die «göttliche Ordnung» so blieb, nein, es gab auch Frauen, die darauf beharrten.

Eine von ihnen ist im Film die energische Frau Doktor Wipf, und die Tatsache, dass sie Chefin des Betriebs ist, in dem Noras Ehemann Hans arbeitet, gehört bei Petra Volpe zu den erzählerischen Elementen, die zeigen, dass hier nicht alles schwarz­weiss ist. Vielmehr ist «Die göttliche Ordnung» bisweilen ein munter fabulierendes Kinomärchen über eine Schweiz, in der biedere Bauersfrauen sich politisieren und emanzipieren, dass es nur so eine Freude ist.

Die Wirklichkeit jener Jahre war für Frauen auf dem Land indes weit weniger bunt, und als die Schweiz dann nach der – auch im Film zentralen – Abstimmung vom Februar 1971 das Frauenstimmrecht endlich einführte, waren auf dem Planeten Erde nur mehr Portugal (1974), Jordanien (1976), Liechtenstein (1984), Kuwait (1999) und Bahrain (2002) noch rückständiger als «Europas älteste Demokratie». Derweil man in Neuseeland das Frauenstimmrecht seit 1893 kannte, und in Finnland seit 1906.

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