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«Man muss mit der Zeit gehen»

Grazia Masulli arbeitet im Bereich Poststellen und Verkauf. Dort geht es im Zuge der angedrohten Schliessungen derzeit turbulent zu und her. Doch die charmante Endvierzigerin aus Bern bleibt optimistisch: Die Angst vor dem Verlust der Arbeitsstelle sei kein guter Ratgeber. 

 

«Ich habe einen Superjob bei der Post», sagt sich Grazia ­Masulli fast jeden Tag, «und ich gehe nie schlecht gelaunt zur Arbeit.» Nebst der Tätigkeit am Schalter im Berner PostParc und in einem internen Projekt ist sie auch mit der «Schaubühne» unterwegs. Da werden der Kundschaft die Agenturmodelle und das Angebot «My Post 24» vorgestellt.

Keine Angst vor dem Kahlschlag

Trübsal blasen wegen der angekündigten Schliessung von weiteren 600 Poststellen mag sie nicht. Das Personal werde sicherlich in anderen Bereichen wieder gebraucht, glaubt sie, doch: «Es herrscht schon eine ziemlich bewölkte Stimmung im Betrieb.» Einige hätten grosse Angst vor dem Verlust der Stelle.

Grazia Masulli nimmt ihre Zuversicht aus früheren Erfahrungen: «Wir hatten auch der Zusammenführung der Teams ­Schanze und Bärenplatz im PostParc mit grösster Angst entgegengesehen. Sie gelang aber vom ersten Tag an gut und es war, als würden wir seit Jahren zusammenarbeiten. Man muss halt mit der Zeit gehen.»

Nostalgie nach der guten alten Zeit

Bei aller Abgeklärtheit und allem Realitätssinn vermisst sie schon auch ein bisschen die frühere Zeit: «Heute haben alle ein Handy und niemand will mehr einfach mit dir plaudern. Sogar an den Schalter kommen sie mit Stöpseln in den Ohren und sagen nicht einmal Grüessech.» Heute seien die Mitarbeitenden von P+V in erster Linie Verkäuferinnen und Verkäufer, konstatiert Grazia. Obwohl die Kioskware wieder aus dem Sortiment genommen wurde, würden die Leute weiterhin nach der Schoggi fragen: «Was, jetz heit dir keini meh?»

Die charmante Endvierzigerin mit italienischen Wurzeln wuchs in Bolligen bei Bern auf und lernte zuerst Verkäuferin bei Loeb. Zwei Jahre später wechselte sie in ein Reisebüro. Reisen war damals ihr Traum. Doch es kam anders. Grazia lernte ihren zukünftigen Ehemann kennen und statt der grossen Welterkundung kam mit der Geburt der Tochter das sesshafte Familienleben. Nach dem Auseinanderbrechen der Ehe musste Grazia «a d’Seck», wie sie es ausdrückt.

alleinerziehend und Filialleiterin

Sie ging zurück ins Berufsleben, wurde Kassiererin bei Coop und stieg bis zur Filialleiterin-Stellvertreterin auf. Da hatte sie vierzig Leute unter sich. «Ich stand unter extremem Druck und fand nicht immer den passenden Ton. Ich war manchmal zu rau und anstatt mich auch um die Befindlichkeit der Leute zu kümmern, hatte ich nur meine Ziele im Kopf. Vielleicht war ich so, weil wir Frauen mehr beweisen müssen als Männer.»

ihre Bestimmung gefunden

Grazia Masulli verliess den Detailhändler und bildete sich zur Bürofachfrau aus. Als frisch gebackene Datatypistin wurde sie Direktionsassistentin bei Media Monitoring, ging darauf für eine kurzes Intermezzo nach Rom und fand nach ihrer Rückkehr eine Anstellung bei ihrem früheren Chef.

So könne das unstete Berufsleben nicht mehr weitergehen, befand ihr damaliger Freund. Er schickte heimlich ihre Bewerbungsunterlagen zur Post. Grazia wurde zum Vorstellungsgespräch eingeladen und fing tatsächlich 2002 am Schalter an. An zwei Tagen pro Monat absolvierte sie die einjährige Ausbildung in Olten. Nach der Schliessung der Berner Kornhauspost wechselte sie 2003 in die Filiale am Bollwerk, kam ein Jahr später an die Kramgasse, von dort nach vier Jahren an den Bärenplatz – und jetzt ist sie also im PostParc.

Die Gewerkschaft syndicom: «Ein Super-Service»

Grazia war auf der Suche nach einer Rechtsschutzversicherung, als sie via Vertrauensfrau im Betrieb zum ersten Mal von syndicom hörte. Sie informierte sich und wurde Mitglied. «Die Gewerkschaft nimmt uns Dinge ab, die wir als Einzelne nicht tun können. Ein Superservice!», sagt sie.

Seit Beginn der Poststellenschliessungen seien einige Kolleginnen neu der Gewerkschaft beigetreten. Sie selber sei nicht besonders aktiv, nicht zuletzt wegen ihrer Arbeitszeiten, die manchmal bis einundzwanzig Uhr dauerten und den Sonntag mit einschlössen. «Das soll aber keine Entschuldigung sein. Wenn es zu viele wie mich gibt, hat es die Gewerkschaft nicht einfach. Deshalb bin ich froh um die aktiven Mitglieder und zuversichtlich, dass die Gewerkschaft für den neuen GAV wieder etwas Stimmiges herausholen wird.»

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