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Mauer im Land, Mauer im Kopf

«Omar», der neue Film des palästinensischen Regisseurs Hany Abu-Assad («Paradise Now»), ist ein Thriller mit atemloser Spannung und zeigt einen tragischen Helden, der unter extremen Bedingungen versucht, seinen Freunden, seinen Prinzipien und seiner Liebe treu zu bleiben. 

Der Bau der Betonmauer, welche die palästinensischen Gebiete von Israel abtrennt, wurde im Jahr 2003 von der israelischen Regierung mit der Begründung begonnen, man müsse allfällige palästinensische Attentäter daran hindern, nach Israel zu gelangen. Die Zahl der Terroranschläge in Israel ging seither tatsächlich zurück, allerdings für einen wahnsinnigen Preis. Die Sperranlagen trennen heute auf ihrer Länge von 700 Kilometern Familien, Nachbarn, Freunde, reissen Ortschaften und Kulturland auseinander und berauben die PalästinenserInnen dauerhaft ihrer Entwicklungsmöglichkeiten.

Gewalt und Gegengewalt

Mit einem markanten Bild von der Mauer beginnt «Omar»: Man sieht unzählige Graffitis und davor den Kopf von Omar (Adam Bakri), der in einem unbeobachteten Moment ein im oberen Mauer­rand fixiertes, herabhängendes Seil packt, sich dann mit grosser Geschicklichkeit daran hochhangelt und blitzschnell darüberklimmt. Bald sieht man, dass das lebensgefährliche Überklettern der Mauer für Omar Routine und gleichzeitig nackte Notwendigkeit ist. Der junge Mann, der in einer Bäckerei arbeitet, hat auf der andern Seite der Mauer – in den palästinensischen Gebieten – seine beiden besten Freunde, Tarek (Eyad Hourani) und Amjat (Samer Bisharat), und seine gros­se Liebe: Nadja (Leem Lubani). Die Gymnasiastin ist die kleine Schwester von Tarek, der unter keinen Umständen etwas von dieser Verbindung erfahren darf. Denn es gibt nicht nur die Repression der israelischen Besatzungsmacht, auch die Fesseln der Religion, die unter Palästinensern, die in den palästinensischen Gebieten leben, viel stärker sind als unter denen in Israel.

Omar, Tarek und Amjat sind Freunde seit Kindertagen und haben seit der Kindheit auch die Demütigungen und Schikanen durch die israelischen Soldaten hüben und drüben am eigenen Leib erfahren. So verwundert es nicht, dass die drei einen Angriff auf israelische Soldaten planen – und diesen Plan eines Nachts auch erfolgreich umsetzen; sie erschiessen einen Soldaten.

Omar wird am nächsten Tag verhaftet, kommt ins Gefängnis und wird von den Israelis schwer gefoltert. Für den israelischen Agenten Rami (Waleed F. Zuaiter), der im Gefängnis die Verhöre leitet, ist indes bald klar, dass nicht Omar den Soldaten getötet hat, sondern Tarek der Täter ist.

Zum Doppelspiel gezwungen

Er stellt Omar vor die Alternative: Lebenslängliche Haft oder als Agent für die Israelis arbeiten und sie zu Tarek und Amjat führen. Omar geht zum Schein auf das Angebot ein, kommt frei, trifft sich nun wieder mit seinen Freunden und mit Nadja.

Doch nichts ist mehr wie früher, denn natürlich kommt es allen dreien verdächtig vor, dass Omar schon so rasch wieder aus dem Gefängnis herauskam. Die Mauer, die die Menschen zerreisst, geht jetzt mitten durch Omar, er muss sich gleichermas­sen vor seinen Freunden wie vor dem israelischen Agenten in Acht nehmen.

Wie Menschen unter irrsinnigen Verhältnissen genauso irrsinnige Dinge tun, davon erzählte Hany Abu-Assad bereits in «Paradise Now», jenem – wie nun auch «Omar» – Oscar-nominierten Film aus dem Jahr 2005, wo es um zwei Palästinenser ging, die sich auf ein Selbstmordattentat in Israel vorbereiten. Und so wie in jenem grossartigen Film Überraschung und Spannung bis zur letzten Sekunde herrschten, so schafft es Hany Abu-Assad auch hier wieder, diese Qualitäten voll auszuspielen. Ein gutes Drehbuch brauche einen fesselnden Einstieg, einen unterhaltsamen Mittelteil und einen Schluss, der unvorhersehbar, aber unausweichlich sein müsse, heisst es in Hollywood.

Mit palästinensischem Geld

Hany Abu-Assad hat nach dem überwältigenden Erfolg von «Paradise Now» für wenige Jahre in Hollywood gearbeitet. Doch er merkte, dass das nicht seine Welt ist, er kehrte zurück nach Palästina, um hier «Omar» zu realisieren. Ohne Hollywood, ganz mit palästinensischem Geld: der erste Film, der vollumfänglich in Palästina finanziert wurde.

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