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Medienkritik: die ersten 36 Jahre

1980 lancierte «Klartext» erstmals die öffentliche Selbstreflexion in der Medienbranche. 2011 kam es zum Joint-Venture von «Klartext» und «Edito». Neu geben die Verbände syndicom, Impressum und SSM gemeinsam das Magazin «Edito» heraus, Verlegerin ist Bachmann Medien. Ein Rückblick auf die Geschichte von «Klartext» und die guten alten Zeiten.

 

Im analogen Jahr 1980 schauten junge Journalistinnen und Journalisten kritisch den Zustand ihrer Branche an, schrieben darüber und berichteten zu allem Übel auch noch über Interna aus den Redaktionen. Die erste Ausgabe des Schweizer Medienmagazins «Klartext» war erschienen. So etwas hatte es zuvor noch nicht gegeben. Und «Klartext» sollte über viele Jahre hinweg das einzige Medienmagazin der Schweiz bleiben.

Wahre Schlachten mit empörten Briefen

Die Verleger reagierten auf die Erstausgabe empört, die schreibenden Kolleginnen und Kollegen erfreut. Sie hielten während Jahren zuverlässig die Leitungen offen für «Klartext». So etwas wie Selbstreflexion über das eigene Tun und Lassen hatte eingesetzt. Auch das war neu für die damalige Medienlandschaft.

Es kam zu wahren Briefschlachten zwischen «Klartext»-GegnerInnen und der Redaktion des neuen Hefts. Davon zeugt das «Klartext»-Archiv. Über die Wortwahl der Beschwerdeschreiber schweigen wir aus Respekt vor den Toten.

Mut zum motzen bröckelt

Die Reflexion über die Medienlandschaft hielt bis zum Ende von «Klartext» als eigenständiges Magazin im Jahre 2011 an, die Interna hingegen flossen gegen Schluss harzig.

Konnte man früher nach einer netten Plauderei mit der Chef­sekretärin den Chefredaktor (Chefredaktorinnen gab es nicht) persönlich ans Telefon bekommen, ging das später nicht mehr. Die Kommunikationsabteilung wurde dazwischengeschaltet. Das Klima in den Redaktionen war ein ganz anderes geworden. Und heute ist jeder froh um den Job und behält Probleme lieber für sich.

Eine Wohlfühlzone
der Achtzigerjahre

Journalismus anno 1980 war, verglichen mit heute, eine Wohlfühlzone. Arbeitsbeginn lieber spät als früh am Morgen, lange Kaffeepausen mit Zeitung­lesen, Zigarettenqualm in den Büros, Alkohol über Mittag und in jedem Kaff ein Korrespondent mit seiner Hermes Baby (für Nachgeborene: das ist eine mechanische Schreibmaschine). Die Verleger wohnten in Villen, sammelten Kunst – später dann Zeitungstitel aus anderen Landesteilen – und brauten ihr eigenes Bier.

In diese Zeit, als Zeitungsbesitzer sein gleichbedeutend war mit der Lizenz zum Gelddrucken, platzte dieses Blatt mit seinen tiefschwarzen Schlagzeilen und klopfte der Branche auf die Finger. Die Schlagzeilen waren jeweils deftig und liessen manchen «Angegriffenen» den Krawattenknopf lockern und zur Feder greifen.

Tiefschwarze Schlagzeilen

An der für das Heft charakteristischen schwarzen Typografie auf der Front hielt die Redaktion eisern fest. Als es in den Zeitungen rundherum bereits von Bildern wimmelte, wehrte sich die Redaktion hartnäckig gegen ein anderes Fotokonzept. Der Stiftungsrat hätte manchmal an den unzähligen Sitzungen am liebsten in die Tischkante gebissen (rauchen war verboten) ob der Sturheit der Macher in dieser Diskussion.

Wir trauten daher unseren Augen nicht, als unter Chefredaktor Hans Stutz im Jahre 2007 tatsächlich ein Mensch in Ganzkörperaufnahme das Cover zierte. Es war der damalige NZZ-Chefredaktor Markus Spillmann. Er posierte professionell, wie ein Model. Die schwarze Schlagzeile dazu: «Wir wollen die Besten sein!»

Mitten im Wahnsinn

«Inserate reinzuholen für ein medienkritisches Blatt ist der härteste Job der Welt. Er macht dich wahnsinnig.» So beschrieb ein junger Akquisiteur mit einschlägiger Erfahrung diese Arbeit und lehnte den Job ab. Unser langjähriger Inserate­akquisiteur Hannes WieLand ertrug den Wahnsinn. Unermüdlich putzte er die Klinken in den Inserateabteilungen. Unter dem Stiftungsratspräsidenten Heinz Däpp, Berner Journalist und Satiriker, nahm Hannes WieLand auch an den gemeinsamen Sitzungen teil. Er trank ein Bier und machte seine Blattkritik. Der begeisterte Fussballer verlor dabei des öftern seine sportliche Fairness. Die Redaktion schaute konsterniert aus der Wäsche, Chefredaktorin ­ Ursula Dubois schnappte nach Luft, und Stiftungsrätin Marie-Josée Kuhn (damals WOZ, heute Chefredaktorin «work») kräuselte die rot geschminkten Lippen. Produzentin Irmgard Imstepf, intern «The Brain» genannt, versuchte die Wogen zu glätten. Dank ihr liefen die Sitzungen nicht aus dem Ruder. Aber es war Hannes WieLand, der uns mit seinem Engagement vor dem finanziellen Absturz bewahrte.

Jubiläumsfete

Für die Jubiläumsnummer 30 Jahre «Klartext» 2010 mobilisierten wir nochmals alle möglichen Einnahmequellen. Sogar branchenfremde Leute spendeten Geld, darunter ein Schönheits­chirurg. Die Unionsdruckerei Schaffhausen war sehr grosszügig und gewährte uns für die Grossauflage Rabatt.

In seiner Rede zum 30-Jahr-
Jubiläum sprach Wirtschafts- und Medienrechtsprofessor Peter Nobel über die «Wichtigkeit des wahren Journalismus». Er schenkte uns den Ausstellungskatalog seiner mehr als 800 Werke umfassenden Sammlung «Press Art». Chefredaktor Nick Lüthi (heute Redaktor bei der «Medienwoche») nippte während der Ansprache versonnen an seinem Glas.

Partnerschaft mit EDITO

2011 taten wir uns mit ­«Edito» zusammen. Aus «Klartext», herausgegeben von einer unabhängigen Stiftung, wurde «Edito + Klartext», publizistisch verantwortet von syndicom, Impressum und SSM.

Wie hat es der ehemalige Bundesratssprecher Oswald Sigg am Premierenapéro von «Edito + Klartext» gesagt: «Ihr habt die Mauer zwischen syndicom, Impressum und SSM niedergerissen mit dieser Partnerschaft.» Oder in den Worten von jmb auf Parmelin-Englisch: «Chers amis, je vous souhaite le best et don't break together!»

 

* Als Volontärin 1979 mit dem «Klartext» gross geworden. Präsidentin Stiftungsrat «Klartext» von 1999 bis 2012.

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