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Müssen wir alle ewig fit sein?

Die Europäische Union hatte das Jahr 2012 ausgerufen zum «Europäischen Jahr des aktiven Alterns und der Solidarität zwischen den Generationen». Die Kampagne sollte die Öffentlichkeit unter anderem für den gesellschaftlichen Beitrag älterer Menschen ­sensibilisieren. Jedes Engagement zur Verbesserung der politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für die ältere ­Generation ist grundsätzlich zu begrüssen. Aber … 

 

Aber: Der auf EU-Ebene offiziell verwendete Begriff des «aktiven Alterns» muss kritisch hinterfragt werden. Er spiegelt ein ganz bestimmtes Menschenbild wider: das des gesunden, fitten Menschen, der trotz fortschreitenden Alters stets einsatzbereit und leistungsfähig seinen Platz in der Gesellschaft ausfüllt. Anders gesagt: Er soll weiterhin brauchbar und produktiv sein, möglichst niemandem zur Last fallen und, zugespitzt gesagt, die eigene Endlichkeit möglichst aus dem Bewusstsein verdrängen.

Dieses Altersbild ist unrealistisch und kann von grossen Teilen der älteren Generationen gar nicht erfüllt werden. Unser Körper ist nicht ewig jung und gesund und wird es auch in Zukunft nicht sein. Der fragile, anfällige und gesundheitlich eingeschränkte Mensch wird in diesem Ansatz ausgeblendet und abgewertet. Alterserscheinungen und Pflegebedürftigkeit werden zum Indiz für das persönliche Scheitern. Mit dem ­Anti-Aging-Motto «Wer heute noch altert, ist selber schuld» wird der Altersdiskriminierung Tür und Tor geöffnet.

Gutes Altern

In der Schweiz beginnt sich in Politik und Fachwelt eine andere Begrifflichkeit zu verbreiten: Statt vom «aktiven Altern» spricht man bereits bewusst vom «guten Altern». Die Frage lautet dann: Wie können die Einzelnen gut altern – gerade auch, wenn sie allenfalls gesundheitlich bereits beeinträchtigt sind? Weil es eben nicht darum gehen kann, ewig gesund und aktiv zu bleiben, schliesst der Begriff des «guten Alterns» alle Gesellschaftsgruppen ein, auch Behinderte und Benachteiligte. Es geht um Lebensqualität, Selbstbestimmung, soziale und kulturelle Teilhabe und um die Erfahrung von Solidarität und Wertschätzung im täglichen Leben.

Das sind die Rahmenbedingungen, welche eine moderne Gesellschaft den älteren Generationen bieten muss. Was letztlich «gutes Altern» für jeden Einzelnen bedeutet, ist individuell. Der eine 70-Jährige möchte einen Marathon laufen; ein anderer zieht es vor, ruhigeren Tätigkeiten nachzugehen.

Diese Freiheit muss auch – oder gerade – im Alter gewahrt bleiben. Gesundheitlich beeinträchtigte Menschen können und sollen beispielsweise in Sachen Fitness nicht mit den Jungen mithalten oder gar das Altern aufhalten müssen – aber sie sollen ihr Leben so autonom und selbstbestimmt leben können wie nur möglich und so ein Höchstmass an persönlicher Lebensqualität erlangen. In diesem Sinne verstanden, kann prinzipiell jeder und jede von uns gut altern – innerhalb der individuellen Lebensumstände auf einem ganz persönlichen Niveau. Selbstverständlich braucht es für eine möglichst autonome Lebensführung im Alter auch eine gewisse körperliche und psychische Leistungsfähigkeit. Hier sind Massnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung – zugeschnitten auf das jeweilige Lebensalter – der Schlüssel, denn viele klassische Altersleiden sind vermeidbar oder können zumindest verringert oder hinausgezögert werden. Darüber hinaus braucht es Institutionen, die altersspezifische Beratung und praktische Lebenshilfe für die älteren Generationen anbieten. Denn obwohl sich der Lebensrhythmus des Einzelnen im Alter verlangsamt: die Welt um uns herum bleibt nicht stehen. Neue Entwicklungen und Technologien zwingen auch ältere Menschen immer wieder zu Anpassungen. Das beginnt schon bei der Bedienung der Billettautomaten für Zug, Tram und Bus und setzt sich fort beim Gebrauch von Handys und Computern. Für die Autonomie im Alter kann der Zugang zu diesen Technologien ganz entscheidend sein.

* Direktor Gesundheitsförderung Schweiz

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