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Neue Berufe, neue Stellen?

Ursina Jud, Leiterin des Ressorts Arbeitsmarktanalyse und Sozialpolitik im Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO), ist überzeugt, dass uns die Arbeit in der «digitalen Wirtschaft» nicht ausgeht. Allerdings würden sich in den meisten Branchen manche Berufsbilder ändern. 

 

Roboter und Computer übernehmen immer mehr Tätigkeiten, die bisher von Menschen ausgeübt wurden. Geht uns schon bald die Arbeit aus?

Ursina Jud: Ich bin überzeugt, dass sie uns nicht ausgeht. Aber sie wird wohl in einigen Bereichen anders aussehen. Der technische Fortschritt, wie wir ihn mit der Digitalisierung und der fortschreitenden Automatisierung durch Elektronik und IT erleben, ist nicht grundsätzlich neu. Auch in der Vergangenheit gab es im Zuge des technischen Fortschrittes Umbrüche, durch die ganze Sektoren wegfielen. Befürchtungen über Arbeitslosigkeit und das Ende der Arbeit gab es bei jeder technologischen Revolution. Unter dem Strich waren die Beschäftigungsfolgen aber immer positiv.

Also ist die Angst unbegründet?

Lassen Sie mich dies an einem Beispiel veranschaulichen: Der Personalcomputer wurde vor rund 30 Jahren eingeführt und es bestanden die gleichen Befürchtungen wie heute. In dieser Zeit ist die Arbeitslosigkeit in der Schweiz jedoch nicht angestiegen und die Beschäftigung ist weiter gewachsen.

Automatisierung erhöht die Produktivität und unterstützt die Unternehmen dabei, wettbewerbsfähiger zu werden. Dazu benötigen sie vermehrt qualifizierte Arbeitskräfte. In den letzten Jahren verzeichnen wir daher ein Wachstum bei den eher bildungsintensiven Beschäftigungen.

Welche Branchen sind denn von der Automatisierung und der Digitalisierung besonders stark betroffen?

Die Digitalisierung wird wohl die meisten Branchen erfassen. Rückläufig war in den letzten fünfzehn Jahren in der Schweiz die Zahl der Bürokräfte und der Monteure (s. Grafik). Im Finanzwesen wird das Internet eine zunehmend wichtige Rolle spielen. In der Logistik gibt es automatisch betriebene Lager. Im Gesundheitswesen ist es vorstellbar, dass Roboter bei der Pflegelogistik mithelfen. Wir stecken aber mitten in der Entwicklung und können noch keine abschliessende Bilanz ziehen.

Im Verkauf kann man die Veränderung mitverfolgen. Immer mehr Kundinnen und Kunden benutzen die Selbstbedienungskasse.

Wie sich die Automatisierung in den einzelnen Branchen äussern wird, hängt wesentlich von betriebswirtschaftlichen Erwägungen und somit auch von Kundenbedürfnissen ab. Fiel in der Vergangenheit eine Standardaufgabe im Dienstleistungssektor weg, entwickelten sich die Kundenbeziehungen stärker in Richtung beratende Tätigkeiten. Das geschah beispielsweise bei der Einführung der Bankauto­maten. Es kann durchaus auch für den Verkaufsberuf zutreffen.

Laut einer Studie der Universität Oxford sind in den USA in absehbarer Zeit fast 50 Prozent der Erwerbstätigen durch Computer ersetzbar.

Es ist sehr schwierig, hierzu verlässliche Zahlen zu nennen. Der Wegfall von bisherigen und die Entstehung von neuen Berufsbildern sind nicht neu. Vor 150 Jahren war der Grossteil der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig. Heute sind es noch 3 Prozent.

Die Berufsbilder werden sich verändern, und es kann sein, dass gewisse Berufe wegfallen. Laut aktuellen Studien könnten vor allem Tätigkeiten betroffen sein, die grosse Datenmengen verarbeiten, die sich einfach strukturieren und in Algorithmen fassen lassen, also zum Beispiel Steuerberater oder Treuhänder.

Man spricht schon von selbstfahrenden Fahrzeugen, die dann Bus- oder Taxichauffeure arbeitslos machen.

Technisch ist man hier sehr weit – auch in der Schweiz fanden kürzlich Versuche mit selbstfahrenden Lastwagen statt. Wir wissen aber nicht, was dies für die Gesamtwirtschaft sowie die Gesamtbeschäftigung bedeuten wird und insbesondere, welche neuen Bedürfnisse daraus entstehen werden. Dazu kommt, dass der gesetzliche Rahmen geändert werden müsste. Selbstfahrende Autos und Lastwagen sind heute nicht erlaubt.

Man hat aber das Gefühl, dass der Wandel heute schneller abläuft als einst.

Dieses Gefühl rührt wohl daher, dass sich Trends schneller global verbreiten. Ausserdem ist der Rhythmus tatsächlich schneller geworden, beispielsweise beim Ablösen des Briefverkehrs durch E-Mails. Allerdings gibt es auch Beispiele aus früheren Zeiten, wo die Entwicklung in der Wahrnehmung der Bevölkerung ebenfalls äusserst schnell verlief, etwa bei der Einführung der Webstühle.

Sie selber sprechen auch von den Chancen der Automatisierung. Wo sehen Sie diese?

Abgesehen von den bereits angesprochenen positiven Effekten auf die Produktivität und somit einer Stärkung des Wirtschaftsstandortes Schweiz, kann die Automatisierung auch Chancen für Branchen mit Fachkräftemangel bieten.

Wo ist die Politik gefordert?

Die Anforderungen an die Arbeitnehmenden ändern sich, deshalb wird die Bildungspolitik gefordert sein. Gewisse Ausbildungsgänge werden durch neue ersetzt, andere an die Entwicklungen angepasst. Auch die Weiterbildung bleibt wichtig. Der Staat muss dazu gute Rahmenbedingungen bieten. Es liegt aber auch in der Eigenverantwortung der ArbeitnehmerInnen, die Angebote zu nutzen.

Wie sieht es mit der Verantwortung der Unternehmen aus?

Es ist im Interesse der Unternehmen, geeignete Massnahmen zu treffen, um im Markt zu bestehen. Investitionen in das Know-how der Belegschaft sind wichtig, auch Rationalisierungen können dazugehören. Denn nur gut funktionierende Unternehmen können zukunftssichere Beschäftigungen bieten.

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