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Prekariat im Buchhandel

Auch im Buchhandel arbeiten Angestellte mit Löhnen unterhalb der Mindestlohngrenze. Ein Beispiel ist Antonia K.*, die trotz jahrelangen Einsatzes das Opfer einer Sparrunde werden soll, die ihr die Existenzgrundlage zu entziehen droht. 

Antonia K. arbeitet seit mehr als zehn Jahren in der gleichen Buchhandlung, in der Filiale einer der grossen Ketten, die den Schweizer Buchhandel dominieren. Sie hat keine Ausbildung als Buchhändlerin, aber inzwischen grosse Erfahrung im Beruf. Sie ist fachlich versiert und mit der Software und den vielen wichtigen Details ihres Metiers vertraut. Trotzdem wird sie weiterhin im Stundenlohn beschäftigt, anders als die meisten anderen Angestellten. Das ist auch mit Unsicherheit verbunden.

Sie ist für eine Teilzeitstelle von weniger als 50 Prozent eingestellt worden. Mit der Zeit wurden es aber tatsächlich mehr. Antonia K. arbeitet oft am Abend und am Wochenende, ohne zusätzliche Entschädigung. So reicht der Lohn nur knapp zum Leben. Er liegt unter dem vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund geforderten Mindestlohn von 22 Franken pro Stunde und ist seit mehreren Jahren nicht mehr angepasst worden.

Die Buchhändlerin schränkt sich ein. Sie lebt in einer kleinen und günstigen Wohnung. Es zieht durch alle Ritzen, doch im Winter dreht sie die Heizung nicht zu sehr auf, um Kosten zu sparen. Sie besitzt kein Auto, kein Generalabonnement. Von Ferien im Ausland kann sie nur noch träumen. «So wie ich lebe, das steht für viele ausser Diskussion», fasst sie zusammen, «aber ich achte darauf, dass man mir die prekäre Lage nicht ansieht.» Auch auf den Gang ins Café oder ins Kino verzichtet sie meistens, weil sich diese kleinen Auslagen Ende Monat doch zusammenläppern. Nur ganz selten leistet sie sich einen kleinen Luxus.

Dem Lebensplan entspricht dies nicht. Antonia K. hat vor knapp zwanzig Jahren die Matur bestanden und nach dem Abbruch des Ökonomie-Studiums einzelne kürzere Anstellungen angenommen. Sie zog dann um in eine andere Schweizer Stadt, in der sie ein neues Studium begann. Den Job in der Buchhandlung hat sie angenommen, um sich das Studium und das Leben zu finanzieren. «Ich habe keine anderen Einnahmen.» Mit der Zeit nahm die Arbeit allerdings immer mehr Raum ein und absorbierte mehr Energie, sodass die Universität in den Hintergrund rückte. Heute sagt sie, sie hätte besser ein paar Jahre voll gearbeitet, um sich das Geld fürs Studium beiseite zu legen.

Die Angestellte war bereit, im Bedarfsfall kurzfristig für andere einzuspringen, sie begehrte nicht auf, als sie ohne Rückfrage auf einen Wochentag eingeteilt wurde, der eigentlich für Vorlesungen und Seminare vorgesehen war. Antonia K. ist einsatzfreudig, kompetent und pflichtbewusst, das hat ihr auch ihre Vorgesetzte bescheinigt. «Ich bin von mir aus engagiert und sehe, was es zu tun gibt, man muss mich nicht dazu anhalten.» Trotzdem lässt die Wertschätzung zu wünschen übrig. Die Filialleiterin erwartet eine hohe Verfügbarkeit, sogar während der Freizeit: «In vielen Dingen wird mit uns nicht korrekt umgegangen», bilanziert Antonia K.

Sie hat sich dennoch mit dem geringen Lohn und der Situation bisher arrangiert. Nun droht sie im Rahmen einer Sparrunde, von der die angeblich zu teure Niederlassung betroffen ist, einen grossen Teil der Arbeitszeit und damit des Lohns zu verlieren. Ihr Pensum soll auf ihre ursprünglich im Vertrag vereinbarten Stunden zurückgestuft werden, «obschon ich immer viel mehr arbeitete». Sie weiss im Moment nicht, wie es weitergeht. Sie sorgt sich um die Zukunft, ist enttäuscht, dass trotz des jahrelangen Einsatzes «immer wieder alles in Frage gestellt wird». Ein Stellenwechsel ist nicht einfach und eine Ausbildung wäre mit weiteren Jahren mit nur geringem Lohn verbunden. Ausserdem braucht es für einen Neuanfang viel Energie, die der Buchhändlerin im Moment fehlt.

* Der Name wurde geändert

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