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So kam es zur linken Spaltung

Robert Grimm gegen Lenin. Einer setzt sich durch, der andere setzt sich ab. Daraus wächst Weltgeschichte, 1915 in der Landgemeinde Zimmerwald. Denn da treffen sich VertreterInnen der sozialistischen Opposition zu einer Geheimkonferenz gegen den Krieg und für eine Wiedergeburt des Klassenkampfs. In den ersten Septembertagen dieses Jahres wird das 100-Jahr-Jubiläum der Zimmerwalder Konferenz gefeiert. 

 

Eines der Hauptziele der 1889 gegründeten Zweiten Sozialistischen Internationale ist die friedliche Verständigung der Völker. Noch im Basler Kongress vom Herbst 1912 wehren sich die darin vereinten sozialistischen Parteien gegen einen Krieg und beschwören internationale proletarische Solidarität. Der Feind, so die gemeinsame Einsicht, sei nicht der Arbeiter jenseits der Grenze, sondern der Boss in der Nähe, oben.

Weltkrieg zerschlägt die Solidarität

Bei Ausbruch des 1. Weltkriegs, im Sommer 1914, bricht diese Solidarität zusammen. Die sozialistischen Parteien der kriegführenden Staaten nehmen grossmehrheitlich einen engen nationalen Blickwinkel ein, akzeptieren den Krieg als einen der Verteidigung und stimmen den Kriegskrediten zu.

Auch in der Schweiz setzt sich der Burgfrieden durch. Als einer der Ersten erkennt Robert Grimm, der führende Kopf in der SP, dass die Arbeiterklasse die Zeche dieser Einigung zu zahlen hat.

Pazifistische Minderheit in der SP

Robert Grimm ist die treibende Kraft einer Minderheit in der SP, die versucht, nationale Identi­tät durch Klassensolidarität zu ersetzen. Sie will europaweit die kriegsablehnenden Minderheitsflügel der nationalen sozialistischen Parteien vereinen und die sozialistischen Parteien auf Antikriegskurs bringen. Grimm kann die SP nicht überzeugen, hier ihre Guten Dienste anzubieten: es überwiegt die Angst, die deutschen Genossen zu verärgern. Er bekommt aber von der Parteileitung die Freiheit, selbst etwas zu versuchen.

Und das tut er. Grimm und seine kleine Schar, unterstützt von italienischen GenossInnen, laden für den 5. bis 8. September 1915 heimlich mehr als 40 VertreterInnen diverser linker SP-Flügel zu einer Konferenz ein – in einem Bauerndorf südlich von Bern. Die Tagung ist geheim.

«Ornithologenkongress» im Bauerndorf

Denn die Teilnehmenden, besonders diejenigen der Kriegsstaaten, müssen vor Racheakten und Verratsvorwürfen geschützt werden. Deshalb melden sie sich als Vogelkundler an. Und niemand merkt etwas, bis die ersten Publikationen erscheinen … Viele TeilnehmerInnen wurden später berühmt, weil sie dann an der Spitze einer sozialistischen oder kommunistischen Partei standen. Allen voran gilt dies für Wladimir Iljitsch Lenin, der sich damals noch im schweizerischen Exil befand. Er und seine Getreuen wollten den Krieg nutzen, um in gewaltsamer Erhebung die Macht zu ergreifen.

Lenin in der Minderheit

Die «linken Zentristen» rund um Grimm jedoch wollten den Krieg beenden, ihre Losung heisst Klassenkampf, den gewaltsamen Umsturz lehnen sie ab.

Lenin kann sich in Zimmerwald nicht durchsetzen, ebenso wenig ein Jahr später auf der Nachfolgekonferenz in Kiental, dafür aber 1917 auf dem russischen Terrain selbst.

Zwei Jahre später: die linke Spaltung

In der 3. Konferenz der Zimmerwalder Bewegung, die im September 1917 in Stockholm stattfand, kam es zum Bruch zwischen der Linken und den Zentristen. Die in Russland siegreichen Bolschewisten riefen bald darauf die dritte kommunistische Internationale aus.

So weit eine gedrängte Darstellung. Die Konferenz ist ein wichtiges Ereignis in der Ausdifferenzierung des Sozialismus in die – vereinfacht – drei Blöcke reformerisch, klassenkämpferisch, revolutionär. Aus sowjetischer Sicht stand dies am Anfang einer Taktik zum Sturz des Regimes und zum Aufbau des Rätekommunismus. Während Jahrzehnten war Zimmerwald für geschichtsbewusste SowjetbürgerInnen ein Symbol vorstaatlicher Identität.

«Zimmerwald» steht für Courage und gegen Enge

Aus Sicht der (schweizerischen) Sozialdemokratie war und ist Zimmerwald Beleg, dass Weltgeschichte auch mal hierzulande gemacht werden kann. Dann steht Zimmerwald auch für Courage gegen den Krieg, für internationale proletarische Solidarität und gegen nationalistische Enge. Schliesslich zeigt Zimmerwald das Talent von Robert Grimm und den Beginn einer militanten Ausrichtung der Schweizer Arbeiterbewegung, die nur 3 Jahre später im Generalstreik gipfeln sollte.

Bleibt die Gemeinde Zimmerwald: bauern- und gewerbe­dominiert, wider Willen zu einem Ruhm gekommen, mit dem sie nichts anzufangen wusste. Und so tat sie die Jahrzehnte hindurch vieles, um zu verstecken, dass sie an drei Tagen im Herbst 1915 die linke Weltgeschichte beherbergt hatte.

2015: Gemeinde feiert mit

Viel Stoff also und viel Leidenschaft, die auch 100 Jahre später noch nicht erloschen ist. Aber angesichts der Tatsache, dass es die UdSSR nicht mehr gibt, auch viel Entdramatisierung für die 100-Jahr-Feier.

So macht an den Feierlichkeiten diesmal auch die Gemeinde Zimmerwald mit. Im Regionalmuseum Schwarzwasser in Schwarzenburg gibt es seit Mai eine Ausstellung zur Konferenz, entstanden unter Mitarbeit dreier Unis. Ein Besuch lohnt sich.

Die Ausstellung läuft noch bis zum 22. November. Offen jeweils an Sonn- und Feiertagen von 14 bis 17 Uhr und auf Anfrage.

www.regionalmuseum.info.

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