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Spatz in der Hand

Der deutsche Poststreik vom vergangenen Juni, von der Gewerkschaft Verdi als Erfolg gewertet, hinterlässt bei der Basis einen bitteren Nachgeschmack. 

 

Für Sigrun Schmid, Sprecherin der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, war der am 5. Juli abgebrochene vierwöchige Streik bei der deutschen Post ein Erfolg: «Es ist uns gelungen, für die 140 000 Tarifangestellten ein umfassendes Schutzpaket auszuhandeln.» Nach 40-stündigen Verhandlungen erklärte die Gewerkschaftsleitung den Streik damit für beendet.

Ursprünglich war das Streik-Ziel, die Post AG dazu zu bringen, die Gründung der 49 DHL-Delivery-AGs zurückzunehmen. Dort leisten die Beschäftigten die gleiche Arbeit wie die direkt bei der Post AG angestellten DHL-Mitarbeitenden. Allerdings zu 20 Prozent weniger Lohn und entschieden schlechteren Arbeitsbedingungen. «Die deutsche Verfassung verbietet das ‹Wegstreiken› von Firmen», erklärt Sigrun Schmid. Deshalb sei in dieser Frage nichts zu machen gewesen.

Basis kämpferischer

Ein grosser Teil der Basis hingegen zeigt sich schwer enttäuscht über den mageren Ausgang des Arbeitskampfes. Da Verdi im Vorfeld ihre Satzung geändert hatte, konnte die Gewerkschaftsleitung den Streik ohne Urabstimmung bei den Mitgliedern starten – und auch wieder stoppen. Der Streik begann breite Wirkung zu zeigen, und die Streikenden waren durchaus motiviert weiterzukämpfen. «Für das Ergebnis hätten wir nicht vier Wochen ­streiken müssen. Das hätten wir auch schon mit der zweiten oder dritten Verhandlungsrunde erreicht», moniert eine junge Frau, die Streikposten war.

Reallohnverlust erkämpft

Auch für die 140 000 Stammbeschäftigten der Post hat der Streik nicht allzu viel gebracht. Obwohl die Post AG zurzeit höchst rentabel ist: Trotz hartem Konkurrenzkampf unter fünf Anbietern dominiert sie mit 43 Prozent den Paketmarkt, und sogar die Zustellung von Briefen rentiert weiterhin. Statt der geforderten 5,5 Prozent Lohnerhöhung gibt es zwei Jahre in Folge 1,7 Prozent mehr Lohn, was teuerungsbereinigt einem Reallohnverlust entspricht. Zusätzlich gibt es im Oktober eine Einmalzahlung von 400 Euro. Die Arbeitszeit wird nicht gekürzt und bleibt bei 38,5 Stunden.Die eigentlichen Erfolge der Verhandlungen wirken daneben bescheiden: Verlängerung des Schutzes vor betriebsbedingten Kündigungen bis 2019 und die Festanstellung der befristeten Angestellten, die mehr als zwei Jahre ununterbrochen bei der Post AG gearbeitet haben. Und die Ergebnisse gelten eben nicht für die jetzt schon 6500 Angestellten in Zulieferbetrieben. Deren Zahl wird noch rasant zunehmen, und ab 2018 – also kurz vor Ablauf des ausgehandelten Kündigungsschutzes – stellen die teilautonomen Tochterbetriebe auch Briefe zu.

«Verdi hat durch das Einknicken enorm an Macht eingebüsst», klagt ein enttäuschter Gewerkschaftskader aus Baden-Württemberg. «Schon von Amazon wurden wir wiederholt ausgehungert. Aber da haben wir auch keine starke Basis, weil es fast nur Zeitarbeiter gibt. Und die sind schlecht zu organisieren. Aber dass uns die Post so auflaufen lassen kann ... Nach Ablauf der Regelungen bis 2019 werden wir kaum noch die Macht haben, uns ernsthaft gegen die zunehmende Prekarisierung zu wehren. Schliesslich stehen ja die Belegschaften ein und derselben Muttergesellschaft dann in Konkurrenz zueinander.»

49 Post-Töchter mit massiv niedrigeren Löhnen

Die Deutsche Post ist gleichzeitig Sonderfall und Modell. Durch Privatisierung und die Wiedervereinigung hat der Konzern im Verlauf der letzten 20 Jahre 200 000 (!) Arbeitsplätze abgebaut. Es verbleibt eine Stammbelegschaft von 140 000 Beschäftigten mit härteren, aber offenbar noch annehmbaren Arbeitsbedingungen. Die wird bis 2019 durch Pensionierungen und individuelle Kündigungen weiter schrumpfen. Die dadurch sinkende Kapazität werden die 49 Tochtergesellschaften locker mit massiv niedrigeren Personalkosten kompensieren.

Kaum noch Handhabe gegen Prekarisierung

«Ich war erstaunt, dass die Sozialpartnerschaft zwischen Post und Gewerkschaft schon so kaputt ist», erklärt Bernd Rixinger, Parteivorsitzender der Linken und ehemaliger Verdi-Geschäftsführer in Stuttgart. «Verdi hat einen entscheidenden strategischen Fehler gemacht, den viele Gewerkschaften machen. Die beitragszahlende Stammbelegschaft schützen und die prekarisierten Arbeitsverhältnisse aussen vor lassen.»

Von der Arbeit leben können

Rixinger weiter: «In den letzten 20 Jahren hat die Zahl der prekarisierten Arbeitsverhältnisse in Deutschland um 75 Prozent zugenommen. Der Beschäftigungsgrad ist hoch wie nie. Aber immer weniger Leute können von ihrer Arbeit leben. Die Profite werden auf die Aktionäre verteilt und die arbeitende Bevölkerung muss mit immer weniger auskommen.»

Ein Schicksal, das wohl auch den deutschen PöstlerInnen mittelfristig droht.

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