Ständige Sparmassnahmen höhlen den Journalismus aus. Es bleibt nur ein Mantel.
In der hauseigenen Festschrift zum 125 Jahr Jubiläum beteuert Tamedia, dass die Publizistik der Kern des Unternehmens sei. Das steht im krassen Gegensatz zur Entwicklung des Unternehmens in den letzten Jahren. Der letzte Schlag gegen den publizistischen Kern sind die sogenannten Mantelredaktionen, mit denen die mediale Vielfalt abgeschafft wird. Besonders bitter für das Personal ist es, dass das Jubiläumsfest vor der Tür steht, ihnen aber nicht zum Feiern zu Mute sein kann. Mit den Mantelredaktionen steht ein Stellenmassaker bevor, das die journalistische Qualität bei Tamedia zusätzlich gefährdet.
Der Gegensatz zwischen öffentlichem Bekenntnis zum Qualitätsjournalismus und tatsächlicher Aushöhlung der publizistischen Ressourcen zeigt sich auch in der Verwendung der erwirtschafteten Gelder. Statt in das Personal, die journalistische Kompetenz und Entwicklung zukunftsträchtiger publizistischer Formate zu investieren, zieht es die Tamedia-Besitzerfamilie vor, sich selbst, die Aktionäre und die Unternehmensleitung zu bedienen. In den vergangenen zehn Jahren erarbeiteten die Angestellten von Tamedia einen kumulierten Gewinn von gegen 1,5 Mrd. Fr. Über 400 Mio. Fr. davon gingen an die Aktionäre, 100 Mio. Fr. an den Verwaltungsrat und die Konzernleitung: 500 Mio. Fr. wurden so dem Unternehmen entzogen statt investiert. syndicom und impressum beantragen an der Generalversammlung die Ablehnung der variablen Vergütungen (Boni) für die Unternehmensleitung und die Halbierung der Dividende. Diese 28 Mio. Fr. sollen in das Personal investiert werden, zum Beispiel um die angespannte Personalsituation in den Redaktionen zu verbessern.
Digitale Strategie ohne publizistische Konvergenz
Gerne betont Tamedia ihre erfolgreiche digitale Strategie. Das mag für den Gewinn stimmen und erfreut die Aktionäre und die Unternehmensleitung. Ein genauerer Blick zeigt aber, dass die gewählte Strategie auf Kosten des publizistischen Kerns geht. Während in die Marktplätze investiert wird, wird bei den Bezahlmedien ständig gespart und Personal abgebaut. Der von Genf bis Winterthur befürchtete Personalabbau droht mit der Übernahme der Basler Zeitung auf Basel überzugreifen. Wahrscheinlich ist, dass sich der Tamedia-Einheitsbrei nun bis zum Rheinknie ausweitet. Es ist keine Strategie erkennbar, wie die Bezahlmedien und das Personal vom Erfolg der digitalen Strategie profitieren könnten.
Unklarheit führt zu Unruhe beim Personal
Der Kontrast zwischen den Vorbereitungen zum Jubiläumsfest und dem drohenden Kahlschlag in den Redaktionen führt schweizweit zu grosser Verunsicherung und Unmut in den Tamedia-Redaktionen. Es erscheint zynisch, sich selber zu feiern, wenn das Personal mit Kündigungen rechnen muss, die nach dem Jubiläumsfest vom 9. Mai drohen. Zusätzliche Ängste verursacht Tamedia dadurch, dass sie einerseits aus dem Gesamtarbeitsvertrag (GAV) der Druckbranche ausgestiegen ist und andererseits dadurch, dass sie ihre Verantwortung für einen Abschluss eines GAV für die Presse nicht wahrnimmt. In der Romandie sind die Spannungen innerhalb des Personals so gross, dass syndicom, impressum und die welschen Redaktionen von Tamedia die Initiative ergriffen haben, einen Antrag bei der waadtländischen Schlichtungsbehörde zu stellen. Sie verlangen einen Entlassungsstopp für zwei Jahre oder den Erhalt von der Zeitung Matin semaine in ihrer Papierform. Das Verfahren ist hängig. Meinte es Tamedia mit der Wertschätzung ihrer Mitarbeitenden ernst, so müsste sie sich für Gesamtarbeitsverträge mit Sozialplänen einsetzen. Diese würden dem Personal Sicherheit in unruhigen Zeiten bieten. syndicom und impressum werden das Personal in allen Aktionen und Kämpfen gegen Abbaumassnahmen, für Gesamtarbeitsverträge und den Erhalt der Medienvielfalt unterstützen.