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Tamedia will trotz Mega-Gewinnen weitersparen. Jetzt reichts!

Wir erinnern uns: Am Morgen des 21. März lud Tamedia zur jährlichen Bilanzpressekonferenz in Zürich, um den Journalistinnen und Journalisten die hervorragenden Ergebnisse des vergangenen Jahres zu präsentieren (syndicom-Zeitung vom 28. März). Das Medienunternehmen weist 2012 152 Millionen Gewinn aus, fast so viel wie im Vorjahr, dem besten seit Firmengedenken. Stolz bezifferten Pietro Supino und Christoph Tonini die Gewinnmarge vor Amortisationen mit 19,8 Prozent, also hoch über dem Durchschnitt der sonst krisengebeutelten Medienbranche. Nachdem auch die Finanzfachleute und (potenziellen) AnlegerInnen über das Jubelergebnis informiert worden waren, reiste die Geschäftsleitung noch am selben Tag in die Westschweiz, um mit den dortigen Chefredaktionen zusammenzusitzen. Hier allerdings hatten die Herren aus Zürich eine ganz andere Botschaft zu verkünden: Tamedia müsse den Gürtel enger schnallen und 34 Millionen Franken sparen, über die Hälfte davon, 17,8 Millionen, allein in der Romandie. ­Rechnet man diese Zahlen in Stellenprozente um, so müsste Tamedia in den kommenden Jahren über 200 Personen entlassen. Allein bei der «Tribune de Genève» beispielsweise befürchtet man rund 30 Kündigungen.

So lässt sich keine Zeitung machen!

Und mit so einer Zeitung lassen sich auch keine Abonnemente mehr verkaufen. Denn notdürftig zusammengeschusterte und schlecht recherchierte Artikel kann man heute ja auch gratis haben. Für mehr aber fehlt den zu Tode gesparten Redaktionen bald einmal die Kapazität.

Die Einstellung der angesehenen Genfer Tageszeitung wäre vorgespurt. Womit Verwaltungsratspräsident Pietro Supino und seine Kumpane nicht gerechnet hatten, war die Reaktion ihrer Westschweizer Knechte.

Statt die Hiobsbotschaft der Unternehmensleitung widerspruchslos zu schlucken, formulierten die Chefredaktoren ihre Besorgnis über die Vorgaben der Teppichetage und verlangten in einem Brief an die Unternehmensleitung Erklärungen. Das Westschweizer Radio und Fernsehen RTS bekam Wind von der Sache und trug den Protest der Chefredaktoren am Abend des 25. März an die Öffentlichkeit. Auch wenn die Tamedia-Zentrale daraufhin zu beschwichtigen suchte und verlauten liess, die Sparmassnahmen würden auf die kommenden drei Jahre verteilt, blieb die Empörung bestehen.

«Keine Zitronen-Presse»

Am 27. März gingen die Redaktionen der «Tribune de Genève» in Genf auf die Strasse. In Lausanne riefen «24 heures», «Le Matin» und «Le Matin dimanche», «Femina», «Encore», «Tele Top Matin» und «lematin.ch» zum Protest vor dem Edipresse-Gebäude auf. Etwa 200 Journalistinnen und Journalisten folgten dem Aufruf in Lausanne, gegen 100 waren es in Genf. Das rief auch die Politiker auf den Plan. Nicht nur die Linke meldete sich zu Wort, sogar liberale und bürgerliche Kräfte äus­serten ihr Unverständnis für die überrissenen Gewinnvorstellungen bei Tamedia. Die von Tamedia angestrebte Ebit-Marge von 15 Prozent für jeden einzelnen Pressetitel und jeden Bereich sei «schockierend», meinte der Waadtländer Regierungsrat Pascal Broulis (FDP) vor laufender Kamera, und der Genfer Stadtratspräsident Charles Beer (SP) versprach in «Le Temps», sich für die bedrohte Pressevielfalt einzusetzen. Denn nicht zuletzt steht mit der Pressevielfalt auch die demokratische Meinungsbildung auf dem Spiel.

Protest in der Deutschschweiz

Der Protest in der Westschweiz weckte auch die Redaktionen in Zürich und Bern. Zunächst hatte man hier noch geglaubt, die angekündigten Sparmassnahmen seien ein verfrühter Aprilscherz: Niemand kann sich mehr vorstellen, was nach all den Sparrunden der letzten Monate und Jahre noch weggespart werden soll. Auch in den Deutschschweizer Redaktionen ist die Belastungsgrenze längst erreicht.

Die Redaktionen halten nicht mehr still

Es fehlt an Zeit und Kapazität für die vertiefte Recherche, und zahlreiche erfahrene Kolleginnen und Kollegen wurden in die Frühpensionierung geschickt, um, wenn überhaupt, dann durch jüngere – billigere – ersetzt zu werden, die ihr Netzwerk und ihr Hintergrundwissen noch aufbauen müssen. Die Redaktionskommissionen von «Tages-Anzeiger», «Bund» und «Berner Zeitung» schrieben nun ihrerseits Protestbriefe an die Herren Supino, Tonini und den Westschweizer Tamedia-Verantwortlichen Serge Reymond. Mit den sich jagenden Sparübungen werde suggeriert, dass es sich beim Strukturwandel quasi um ein Naturereignis handle, dem man lediglich mit Kostensenkungen begegnen könne, schreibt beispielsweise die «Tages-Anzeiger»-Personalkommission. Unerwähnt bleibe, dass dieser Strukturwandel auch durch Unternehmensentscheide, wie etwa die anhaltende Abgabe von Gratis-Informationen, zusätzlich begünstigt und beschleunigt werde. Statt in bestehende Produkte zu investieren, dünne man deren Budgets und Personal seit Jahren sukzessive aus. «Mit der Kündigung des Gesamtarbeitsvertrages in der Westschweiz per Ende 2013 droht eine weitere Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Die Zeichen, die die Unternehmensleitung damit an uns Angestellte aussendet, sind fatal.»

Es ist an der Zeit, sich Antworten zu holen

Schliesslich wurden viele Angestellte des «Tages-Anzeigers» beim Börsengang auch zu AktionärInnen. An der Generalversammlung vom 26. April können sie ihr Rederecht einfordern. Und die Kolleginnen und Kollegen können sie vor dem Versammlungsort unterstützen. syndicom fordert die Hälfte der Dividenden für die Arbeitsplätze und die Qualität der Information – statt Sparmassnahmen!

Nina Scheu

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