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Tisa: Service public in Gefahr

Es geht um fast alles, was wir zum Leben brauchen: vom Trinkwasser bis zur Abfallentsorgung, vom Kindergarten bis zum Altersheim, von Post und Bank über Eisenbahn und Elektrizitätswerke bis zum Theater. Der ganze Service public ist vom Freihandelsabkommen Tisa bedroht.

Seit 2012 laufen die Verhandlungen zum Tisa (Trade in Service Agreement) unter strenger Geheimhaltung. Fünfzig Länder sind dabei, darunter die ganze EU und auch die Schweiz. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) verhandelt im Auftrag des Bundesrats – ohne Mandat des Parlaments. Nur weiss das kaum jemand. «Im Frühjahr 2014 haben wir eine Pressekonferenz zu Tisa gemacht», sagt Stefan Giger, Generalsekretär der Gewerkschaft VPOD: «Niemand ist gekommen.» Dabei wird Tisa, sollte es zum Abschluss kommen, enorme Auswirkungen auf unseren Alltag haben. Das Ziel des Abkommens ist: liberalisieren, so weit es irgendwie geht. Private Unternehmen sollen Zugang zu den Dienstleistungsmärkten aller Tisa-Länder erhalten und müssen behandelt werden wie öffentliche Institutionen. Angenommen, ein luxem­bur­gischer Konzern gründet in der Schweiz eine Privatschule, so muss diese die gleiche Unterstützung erhalten wie eine öffentliche Schule.

Service public nur ausnahmsweise gestattet
«Die Staaten dürfen zwar auf einer Negativliste festhalten, welche Bereiche sie nicht deregulieren wollen», sagt Stefan Giger, «aber alles, was darauf nicht steht, wird dereguliert, auch Dienstleistungen, die erst in Zukunft entstehen.» Neue gesetzliche Regulierungen eines Dienstleistungsbereichs schliesst Tisa aus. Damit wäre etwa eine Steuer auf allen Finanztransaktionen definitiv vom Tisch.

Und was einmal privatisiert ist, darf nicht mehr verstaatlicht werden. Obwohl genau das zurzeit in vielen Ländern geschieht: Deutsche Gemeinden, unzufrieden mit dem teuren und unzuverlässigen Angebot privater Energiefirmen, holen ihre Stromversorgung unter die demokratische Kontrolle zurück. Und mehrere Länder, etwa Para­guay, haben ihre Wasser­versorgung wieder verstaatlicht. Mit Tisa ist das nicht mehr möglich. «Das öffnet einem neuen Kolonialismus die Tür», sagt Stefan Giger. «Wenn sich ein Diktator von einem Konzern bestechen lässt und das Wasser privatisiert, bleibt es für immer privatisiert – auch nach seinem Sturz.» Hält sich ein Land nicht daran, kann es von Konzernen verklagt werden. Willi Eberle vom Schweizer Komitee «Stop Tisa» hält das Gesundheitswesen für einen besonders gefährdeten Bereich. «Dort ist am meisten Geld zu holen.» Die Privatisierung der Neuenburger Klinik La Providence, bei welcher der Gesamtarbeitsvertrag gebrochen und Streikende entlassen wurden, habe einen Vorgeschmack auf Tisa gegeben.

Petition lanciert
Stop Tisa hat eine Petition lanciert, die den Bundesrat auffordert, die Verhandlungen abzubrechen. Noch harzt es mit der Mobilisierung. Willi Eberle: «Von Gewerkschaftern höre ich oft: ‹Der Bundesrat wird schon dafür sorgen, dass es nicht so schlimm kommt.› Dieses Vertrauen teile ich überhaupt nicht. Die Schweiz hat eine sehr wirtschaftsliberale Tradition.» Mit Tisa könnte die Schweiz nicht einmal mehr ihre Ladenöffnungszeiten selbst festlegen, fürchtet Stefan Giger. Das muss auch die BuchhändlerInnen und die Shop-Angestellten bei Swisscom und Post, die bei syndicom organisiert sind, alarmieren.

 

Eine Neuauflage des Gats
Vieles am Tisa kommt bekannt vor: Um die Jahrtausendwende hiess das Abkommen Gats (General Agreement on Trade in Services) und war Teil der Verhandlungen im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO). Bereits mit dem Gats drohte der Ausverkauf der Hochschulen und vieler anderer öffentlicher Einrichtungen. Kampagnen gegen das Abkommen waren ein wichtiges Thema der sogenannten Antiglobalisierungsbewegung. Der Widerstand auf der Strasse beeinflusste die Verhandlungen: Schwellenländer und arme Länder verweigerten die Liberalisierung der öffentlichen Dienste genauso wie das geplante Agrarhandelsregime. Mit Tisa versuchen die Wirtschaftsnationen nun, den Handel unter sich auszumachen. Die Gefahr von «fremden Richtern», die die Rechten so gerne heraufbeschwören, wenn es um die Durchsetzung der Menschenrechte geht – bei Tisa ist sie real. Dieses Abkommen gefährdet die Demokratie.

Die Basis dieses Berichts bilden zwei Artikel von Bettina Dyttrich, die im Oktober und November in der Wochenzeitung (WOZ Nr. 43 und 45/2014) erschienen sind. Man findet die vollständigen Versionen im Archiv auf woz.ch.

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