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Tragödie in 8 Akten

Die Reformen der Polygrafen-Bildungsverordnungen haben in den letzten Jahren schon inflationäre Züge angenommen.


Die Reformen der Polygrafen-Bildungsverordnungen haben in den letzten Jahren schon inflationäre Züge angenommen. Revision jagt Revision. Man könnte aber auch sagen, Flop jagt Flop. Kaum haben die ersten gestalterischen Polygrafen/innen ihre Prüfungen abgelegt, wird diese Fachrichtung wieder verschwinden. Eigentlich schon peinlich, was da unter der Ägide der paritätischen Berufsbildungsstelle für visuelle Kommunikation (PBS) bzw. der Trägerverbände geleistet wird und welche enormen Gelder verschleudert werden. Hinter vorgehaltener Hand spricht man von mehreren hunderttausend Franken. Aber auf die Ursachen dieses Desasters wird nicht eingegangen. Kritiker werden totgeschwiegen und schlussendlich auf der Viscom-Homepage verunglimpft und der Lächerlichkeit preisgegeben. Meines Erachtens muss dieser Tragöde sofort eine Ende gesetzt werden.


1. Akt
Die Gestaltung ist bei dieser Revision wieder einmal die Streitfrage. Vorweg, ich könnte dieser Verordnung absolut zustimmen, wären da nicht gewisse Fakten, die hartnäckig negiert wurden. Man glaubt, wenn schöne Lernziele in der Bildungsverordnung aufgelistet werden, sei das Problem schon gelöst. Was nützen solche Wunschträume, wenn die Auszubildenden während der Lehre kaum die Möglichkeit erhalten, gestalterisch tätig zu sein? Wo ist das fachliche Anforderungsprofil an die Lehrmeister, Experten und Lehrkräfte? Dies gibt es schlicht und einfach nicht. Lernen heisst, dass die typografischen Grundlagen immer wieder überprüft und korrigiert werden müssen. Dies im Betrieb wie auch in den Berufsschulen. Gestalten heisst nicht, 4 Zeilen in einem Format zu positionieren. Dies reicht schlicht und einfach nicht. An den Abschlussprüfungen der Polygrafen/-innen wird jedes Jahr gejammert, wie schlecht es um die typografische Gestaltung steht. Übrigens, dies habe ich auch dieses Jahr wieder hören müssen.


Was die fehlende Gestaltungsausbildung für die ausgebildeten Polygrafen bedeutet, lese ich oft in den Motivationsschreiben für die Fachhochschule. Viele Polygrafen/-innen sind frustriert, da ihnen versprochen wurde, dass sie auch gestalten könnten. Schon während der Lehre merken sie, dass dies kaum der Fall ist und viele wenden sich dann frustriert vom Beruf ab und versuchen die fehlende gestalterische Ausbildung in der beruflichen Weiterbildung oder an den Fachhochschulen zu erwerben. Da sie aber – durch die nicht vorhandenen Möglichkeiten während der Lehre – nicht über ein genügend breites Portfolio verfügen, sind ihre Chancen an den Fachhochschulen eher gering. In der beruflichen Weiterbildung müssen wir feststellen, dass alles nochmals von der Pike auf gelernt werden muss.


Natürlich können die Ausbildungsbetriebe nicht einfach Gestaltungsarbeiten herbeizaubern. Die Untersuchung von Syndicom-Mitglied Fritz Maurer hat gezeigt, dass nur gerade 20 Prozent der Betriebe die gestalterischen Anforderungen erfüllen können.
Schlussendlich sind die Auszubildenden die Opfer dieser verfehlten Politik. Da werden schlicht und einfach junge Menschen, denen man versprochen hat, dass sie in ihrem Beruf gestalterisch tätig sein können, hinters Licht geführt!


Ein typisches Beispiel für eine Firma, die Polygrafen in der Fachrichtung Gestaltung ausbilden: Eine Druckerei, die auf ihrer Homepage einen qualitativ hoch stehenden Druck anpreist und primär das technische Equipment in den Vordergrund stellt. Die Lernenden werden von Polygrafen und Techno-Polygrafen ausgebildet. Kein einziger Mitarbeiter, keine einzige Mitarbeiterin hat eine gestalterische Zusatzausbildung.

 

2. Akt
Die «PBS» wäre eigentlich zuständig dafür, dass einmal eine genaue Analyse erstellt wird, warum der Gestaltungsanspruch in den letzten rund 20 Jahren gescheitert ist. Anstelle der Verbände hat Fritz Maurer in Fronarbeit eine beachtliche Umfrage auf die Beine gestellt. Er ist es, der eine Grundlage für ein neues Polygrafen-Reglement erarbeitet hat. Aber man weiss ja aus der Vergangenheit, dass einfach sämtliche Anregungen/Kritik unter den Tisch gewischt werden (siehe 4. Akt). Ein autoritäres Verhalten, das zum Himmel schreit. Es gilt nun endlich, dieser Verbandsmeierei einen Riegel zu schieben. Sorry, die Verbände mit ihren gut bezahlten Funktionären haben in der Vergangenheit ihre «Hausaufgaben» schlecht gelöst.

3. Akt
Umgang mit Kritik war nie die Stärke von «viscom». Alles soll im Schnellzugstempo durchgezogen werden. Peter Theilkäs gibt da das Tempo an. Im Schlepptau der «viscom» gibt es da noch die Gewerkschaften «syndicom» und «syna». An den verschiedenen Veranstaltungen der neuen Bivo waren sie aber bestenfalls als Zaungäste anwesend. Gerade sie müssten sich aber für die kommenden Berufsleute stark machen. Es nützt wenig, wenn man in den Betrieben und Berufsschulen Werbung für einen Beitritt in die Gewerkschaft macht, aber in der Praxis zuschaut, wie die Jungen im Regen stehen gelassen werden.

4. Akt
Zur Bivo gibt es ja auch eine Vernehmlassung. Die Anregungen von Kritikern werden dort – wie schon erwähnt – meist negiert. In der Untersuchung  zur neuen Polygrafen-Bivo schreibt Fritz Maurer: «Mit den Erfahrungen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte bin ich da alles andere als euphorisch und erlaube mir über den weiteren Verlauf der Inkraftsetzung der revidierten Bildungsverordnung folgende Prognose. Die Vernehmlassungsfrist ist ja, wie üblich, sehr kurz und es werden sicher einige Korrekturen und Änderungen vorgeschlagen. Weil es ja alles Einzelmeinungen sind, werden die zuständigen Berufsverbände bzw. wird die Arbeitsgruppe keinen Anlass sehen, grosse Korrekturen vorzunehmen. So wird dann der vorliegende Entwurf nächstes Jahr, evtl. mit kleinen sprachlichen Anpassungen, in die offizielle Vernehmlassung gehen und per 1. Januar 2014 in Kraft gesetzt – basta!». Er sollte nun Recht bekommen. Schwer war es nicht – auf dem Hintergrund der gemachten Erfahrungen der Vergangenheit – dies vorauszusagen.

5. Akt
Jetzt kommt auf der Viscom-Hompage ein Prof. Dr. Dörig zu Wort. Vorausgegangen war in der Zeitschrift «viscom» der Artikel «Revision Polygraf hinterfragt». Dabei wird suggeriert, dass die Kritiker nur noch eine/n technische/n Polygraf/-in haben möchten. Dies ist schlicht und einfach falsch und zielt darauf ab, die Kritiker in die Ecke der reinen Technokraten zu stellen.


Prof. Dr. Dörig bezeichnet sich als neutraler und objektiver Beobachter. Den Artikel zu lesen, kann man sich ersparen. Inhaltlich gibt er kaum etwas her. Seine Huldigungen an die Kommission und das SBFI wirken peinlich. Die Kritiker werden der Polemik bezichtigt. Da weiss er zu berichten, dass solche undifferenzierte geäusserte Polemik – er meint da 3 Kritiker – nicht nur unsachlich, sondern auch unwürdig seien. Da verkennt der Professor aus der Ostschweiz nun wirklich Ursache und Wirkung.


Ich frage mich aber, warum ein Professor aus dem Appenzell sich zur Polygrafen-Bivo äussert. Sollte allenfalls dieser Professor im Solde der «viscom» oder «PBS» stehen? Hat er mitverdient an der Bivo-Revision? Ich weiss es nicht. Wenn es so wäre, ist dies im höchsten Mass peinlich. Noch etwas, der kluge Professor hat noch einige Schreibfehler bei den drei Kritikern entdeckt. Na toll, da hat sein Schreiben wenigstens noch etwas Positives.

6. Akt
Wie weiter? Wenn jetzt die Polygrafen-Bivo umgesetzt wird, heisst es den Schaden in Grenzen zu halten. Die Ausbilder/-innen, Lehrer/-innen und Experten/-innen müssen ein klares Anforderungsprofil erfüllen. Dies heisst, dass sie ein gestalterisches Leistungsprofil vorweisen müssen. Sie können nur dann im Bereich Gestaltung ausbilden, bewerten und unterrichten, wenn sie eine gestalterische Weiterbildung haben oder täglich gestalterisch tätig sind. Sollte ein Betrieb dies nicht vorweisen können, müsste dieser eine geeignete Firma als zweiten Ausbildungsort suchen, der sich der gestalterischen Ausbildung annimmt. Mit dieser Massnahme könnte dann effektiv bewiesen werden, dass man es mit der Gestaltung in der Ausbildung ernst meint.

7. Akt
Zu befürchten ist, dass dies kaum geschehen wird. Eine nächste Revision würde sich dann erübrigen. Ein absolutes überdenken dieser Ausbildung wäre unausweichlich.
Ein weiterer Schritt könnte sein, dass die Ausbildung zum Teil in Lehrwerkstätten mit Praktika absolviert würde: Gestaltung in die Werkstätten, Technik in die Betriebe. Sicher ist, dass bei einem erneuten Scheitern im Bereich der typografischen Gestaltung dieses leidige Thema wahrscheinlich für immer vom Tisch wäre. Dies könnte dann der endgültige Todesstoss der Polygrafen-Lehre im Gestaltungsbereich gewesen sein. Schade!

8. und vorerst letzter Akt

Dass solche Revisionen viel kosten, habe ich eingangs erwähnt. Beratungen und Überprüfungen durch externe Stellen verschlingen nochmals Unsummen. Eigentlich ein Skandal.


Mit der Übernahme der paritätischen Berufsbildungsstelle hat «viscom» einen noch grösseren Einfluss auf die Ausbildung. Faktisch bestimmen sie allein über die berufliche Grund- und Weiterbildung.
Man kann nur vermuten, was dies für die Zukunft bedeutet. Dies ist höchst beunruhigend und lässt nichts Gutes erahnen.

 

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Einschätzung von Hans Kern, Zentralsekretär Bildung:

Das Berufsbild Polygraf/Polygrafin ist revidiert. Nach zweijähriger Arbeit hat die Schweizerische Kommission für Berufsentwicklung und Qualität Polygrafie (BeQu) den Entwurf der revidierten Bildungsverordnung und des dazugehörenden Bildungsplanes verabschiedet.


Das Berufsbild erhielt eine klare Struktur mit Handlungskompetenzen in den Bereichen Sprache, Mikrotypografie und typografischer Gestaltung. Die Ausbildungsschwerpunkte im Print- sowie im Screenbereich lösen die Fachrichtungen ab. Die zweite Landessprache in der deutschsprachigen Schweiz bleibt Französisch. Die eingegangenen Korrekturvorschläge (speziell diese von Fritz Maurer) wurden in der BeQu und der Arbeitsgruppe akribisch durchgearbeitet. Nun müssen der Rahmenlehrplan, die Modelllehrgänge und der Bildungsplan für die überbetrieblichen Kurse erarbeitet werden. Dazu treffen sich Mitte September VertreterInnen aus den Berufsschulen, den Betrieben und den überbetrieblichen Kurszentren zu einer Klausurtagung. Die Resultate und insbesondere die Modelllehrgänge für die betrieblich Ausbildung werden in unserer Fachpublikation Fachhefte Grafische Industrie vorgestellt.

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