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«Uberisierung» der Arbeitswelt

Das Internet ermöglichte den Aufstieg von Uber, Amazon, Airbnb, Ebay und vielen weiteren Akteuren der sogenannten Sharing Economy, bei der Gebrauchsgüter gemeinsam gekauft, benutzt oder verliehen werden. Alles super? Oder bedeuten diese neuen Geschäftsmodelle eine Verschlechterung und einen enormen Rückschritt für die Rechte der Arbeitnehmenden? 

 

Uber verdeutlicht beispielhaft, wie schnell eine Branche auf den Kopf gestellt werden kann, wenn sich Anbieter die Digitalisierung zu Nutzen machen. So bezieht sich der Begriff «Uberisierung» längst nicht mehr nur auf das Geschäftsmodell der kalifornischen Privattaxi-Plattform, sondern meint die Erschütterung, die durch die sogenannte «Shared Economy» in der globalen Wirtschaft ausgelöst wurde: Fahrzeuge, Kurierdienste, Wohnungen und vieles mehr werden über koordinierende Plattformen gemeinsam benutzt, oder eben «geteilt», Neudeutsch «shared». Was als ressourcensparendes Nonprofit-Projekt der grossen Internet-Gemeinde gestartet wurde, bringt den Anbietern mittlerweile Gewinne in Millionenhöhe.

Für die Konsumentinnen und Konsumenten haben die neuen Geschäftsmodelle sicherlich Vorteile, aber wie sieht es für die Arbeitnehmenden aus? Das System Uber ist einfach: Arbeitnehmende werden zu Pseudo-­Selbständigen, die zum Pauschal­preis arbeiten, ohne Rechte, festen Lohn, geregelte Arbeitszeiten, Gesamtarbeitsverträge. So fasst es der französische Arbeitsinspektor Gérard Filoche zusammen. Sozialbeiträge, Versicherungen, Unfälle und Krankenheitsausfall müssen die Betroffenen selbst zahlen.

Die Technologie entwickelt sich schneller als die in Bezug auf diese Umwälzungen noch ­unklare Rechtslage. Wir haben mit Martin Scheidegger, Rechtsanwalt und Leiter des Rechtsdienstes bei syndicom, über die Problematik gesprochen.

Audrey Sommer: Martin Scheid­egger, ist das Modell einer «Uberisierung» der Arbeitswelt wirklich aktuell?

Martin Scheidegger: Dieses Modell ist auf jeden Fall aktuell und grundsätzlich auch ein spannender Ansatz, besonders wenn es darum geht, Synergien zu nutzen und Ressourcen zu schonen. Das Modell darf aber nicht auf Kosten der Erwerbstätigen gehen. Die Arbeitswelt verändert sich aufgrund der digitalen Entwicklung. Die Veränderungen in den verschiedenen Branchen gehen jedoch unterschiedlich schnell voran. Insbesondere im Dienstleistungssektor hat diese Entwicklung schnell Fuss gefasst. Erste Uber-Klone sind auch in der Kurierbranche aktiv. Konsequenz dieser Entwicklung ist, dass sich klassische Modelle verändern: Die Uberisierung macht aus Arbeitnehmern Unternehmer. Wenigstens will sie uns das glauben machen.

Muss man sich davor fürchten?

Fürchten muss man sich nicht, aber man sollte vorsichtig sein. Die Einschätzung der Auswirkungen der Uberisierung auf die Wirtschaft und insbesondere auf die Arbeitswelt ist schwierig. Es besteht die Gefahr, dass der uberisierte Arbeitnehmer als Quasi-Unternehmer den Schutz durch die arbeitsrechtlichen Bestimmungen des Gesetzes verliert. Die Erwerbstätigen haben diesen Schutz aber aufgrund des Abhängigkeitsverhältnisses zu Uber oder ähnlichen Unternehmen dringend nötig. Diesen Erwerbstätigen ist grundsätzlich derselbe Schutz wie normalen Arbeitnehmenden zukommen zu lassen, und durch die Unternehmen sind die gesetzlichen Sozialabzüge zu entrichten. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass der Gesetzgeber die Entwicklung im Auge behält und nötigenfalls die geltenden Gesetze an die veränderten Verhältnisse anpasst.

Inwiefern haben sich die Verhältnisse verändert?

Das Arbeitsrecht geht ursprünglich vom Konzept eines Unternehmens mit eigenen Produktionsmitteln und Räumlichkeiten aus, in welche sich Arbeitnehmende zu fest vorgegebenen Zeiten begeben und im Gegenzug auf Ende des Monats einen definierten Lohn erhalten. Heute wird dieses Konzept durch Telearbeit, Home-Office, variable Arbeitszeitmodelle, Arbeit auf Abruf und dergleichen immer weiter aufgeweicht. Die Uberisierung ist ein weiterer Schritt in diese Richtung. Das Arbeitsrecht hat sich diesen Veränderungen durch die Rechtsprechung und Gesetzgebung weitgehend angepasst, hinkt dieser Entwicklung aber immer etwas nach.

Welchen Status haben diese uberisierten Arbeitnehmenden?

Genau da liegt der Hund begraben: Es stellt sich die Frage, ob diese Erwerbstätigen einem der im Gesetz definierten Vertragsverhältnisse unterstellt werden können, oder ob es sich hier um Verträge eigener Art handelt. Diese Zuordnung hat nicht zu unterschätzende Konsequenzen: Ob ein Erwerbstätiger im Rahmen eines Arbeitsvertrages oder eines Auftragsverhältnisses tätig ist, entscheidet über die Frage, ob die betreffende Person im Fall einer Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit eine Lohnfortzahlung erhält. Im Zweifelsfall haben hierüber die Gerichte zu entscheiden. Um auf die Frage zurückzukommen: Der Status dieser Erwerbstätigen ist nicht geklärt, und dies birgt für den Einzelnen eine erhebliche Rechtsunsicherheit. Tendenziell würde ich diese Vertragsverhältnisse als unechte Arbeit auf Abruf – also als Arbeitsverhältnisse – qualifizieren.

Ist nicht zu befürchten, dass sich die Lage dieser Arbeitnehmenden verschlechtert?

Es ist Sache des Gesetzgebers und der Gerichte, einer solchen Entwicklung entgegenzuwirken. Auch können die Erwerbstätigen mit Unterstützung der Gewerkschaften und ihrer Rechts­dienste wegweisende Gerichtsentscheide provozieren. Zudem kann mit Gesamtarbeitsverträgen – und besonders mit allgemeinverbindlichen – diese Entwicklung gestoppt werden. In erster Linie ist der Schutz dieser Erwerbstätigen anzustreben: Uber und ähnliche Unternehmen müssen in die Pflicht genommen werden, wenn sie nicht von sich aus ihre Verantwortung wahrnehmen.

* Freie Journalistin

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