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Unbehagen am Frauenbild

Ein Leitfaden für Medienschaffende soll einem immer noch vorherrschenden Missstand begegnen: Frauen und Männer werden in den Medien sehr unterschiedlich dargestellt. Und die Frauen ziehen dabei den Kürzeren. Auch das ist eine Form der Diskriminierung, ja der Gewalt gegenüber Frauen. Im Rahmen der Kampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» findet dieses Jahr in Bern ein hochkarätig besetztes Podium zu diesem Thema statt. 

Der «Tages-Anzeiger» vom 19. November führt es eindrücklich vor: Auf dem Papier gibt es Gleichberechtigung, aber nicht auf jenem, auf dem Zeitungen gedruckt werden. Der Bericht über die – glänzende! – Wiederwahl der Parteipräsidentin der Grünen in Deutschland ist mit dem Foto einer sichtlich erschöpften Claudia Roth illustriert. Titel und Lead desavouieren die Parteichefin quasi als unfähig und undemokratisch. Der Artikel ist im Weiteren ein Musterbeispiel dafür, wie unterschiedlich Frauen und Männer in den Medien dargestellt werden. Während Männer in der Politik ganz selbstverständlich Karriere machen, «darf» Claudia Roth laut «Tages-Anzeiger» weiterhin Co-Präsidentin der deutschen Grünen bleiben. Es ist die Rede davon, dass sie ihr Privatleben «der Politik geopfert» habe und dass ihre Wahlrede «wie immer: laut und emotional» gewesen sei.

Eine Untersuchung aus dem Jahr 2010 zeigt: Mediale Beschreibungen folgen meist dem gleichen Muster. Männer werden als führend, stark, vernünftig und unabhängig dargestellt, während Frauen mit Adjektiven beschrieben werden, die ihnen unternehmerische und politische Kompetenzen absprechen, z. B. emotional, nachgiebig, zerbrechlich, sanft oder gar mütterlich. Dafür wird bei Frauen das Alter, der Zivilstand oder der Umstand, dass sie Mutter sind oder kinderlos, vier Mal häufiger thematisiert als bei Männern.

Und nur 22 Prozent der erwähnten Personen in der Schweizer Presse waren an einem Stichtag 2010 überhaupt Frauen. Auf den Titelbildern kommen sie kaum je vor. Wenn «ExpertInnen» befragt werden, so sind sie in den Deutschschweizer Medien noch immer zu über 80 Prozent männlichen Geschlechts. Männer werden sogar häufiger als Politiker, Wissenschaftler, Künstler oder Sportler gezeigt, als es ihrem tatsächlichen Anteil an diesen Berufsgruppen entspricht.

Medienpolitischer Leitfaden gegen Diskriminierung

Die Art und die Häufigkeit, wie Frauen – und Männer! – dargestellt werden, beeinflusst unser Denken, es prägt die Bilder in den Köpfen und schafft damit Wirklichkeit. Die Medien vermitteln Rollenbilder, die in der Gesellschaft akzeptiert, gängig und «normal» sind. Damit verhindern sie auch eine neue, zeitgemässere Sicht.

Um das zu ändern, erarbeitet die Medienwissenschaftlerin Martina Leonarz im Auftrag verschiedener Frauenorganisationen und der Medien-Gewerkschaften syndicom, SSM und impressum einen Leitfaden für Medienschaffende, der in möglichst einfacher Form Tipps für den Berufsalltag in den Redaktionen geben soll.

Das könnte in Form einer Checkliste für die Text-, Bild- und Tonproduktion sein, die Fragen stellt wie: «Würde ich einer Frau/einem Mann die gleichen Interview-Fragen stellen?», oder: «Gibt es für diesen Bericht auch Fotos, auf denen Frauen nicht nur als namenlose Begleiterinnen vorkommen?». Bei der Recherche gelte es zu überlegen: «Kenne ich eine Expertin, die ich zu diesem Thema befragen könnte?», und beim Schreiben: «Baue ich geschlechtsneutrale Formen ein, wie beispielsweise ‹Lehrkraft›, ‹Publikum› oder ‹Studierende›?»

Der Leitfaden verzichtet darauf, die persistierenden Rollenklischees aus der Werbung aufzugreifen, und er thematisiert auch nicht die Untervertretung von Frauen im Redaktionskader, in Verwaltungs-, Programm- und anderen Kontrollorganen. Anders gesagt: Zur Gleichberechtigung der Frauen in den Medien ist der Weg noch weit – was aber niemanden daran hindern soll, die ersten Schritte darauf zu gehen.

Martina Leonarz wird die Arbeiten zum Leitfaden in einem Podiumsgespräch in Bern (siehe Kasten oben) erläutern. syndicom rechnet damit, den Leitfaden im Frühjahr 2013 an die schweizerischen Redaktionen verschicken zu können, aber alle Mitglieder können sich für Veränderungen stark machen. Indem sie beispielsweise den Redaktionen Briefe schreiben, wenn ihnen beim Lesen, Fernsehen oder Radiohören solche Missstände in die Augen und Ohren stechen.

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