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Unter Zwang und ohne Lohn

Die sogenannten aktiven arbeitsmarktlichen Massnahmen sollen eigentlich die Arbeitslosigkeit bekämpfen. Tun sie das? Das «Programm zur vorüber­gehenden Beschäftigung» jedenfalls verbindet den Druck von bezahlter Arbeit mit dem Druck der Arbeitslosigkeit. 

 

Menschen, die nach dem x-ten befristeten Arbeitsvertrag oder einer Kündigung arbeitslos sind, müssen nicht nur ständig nachweisen, dass sie auf Stellen­suche und beschäftigungsfähig sind, sie müssen sich nicht nur jeden Monat im RAV zum Gespräch einfinden. Zusätzlich können sie noch der einen oder anderen «aktiven arbeitsmarktlichen Massnahme» (AMM) zugewiesen werden. Eine der AMM ist die Pflicht, gratis in einem ­fiktiven Unternehmen oder einer real existierenden Institution zu arbeiten.

Kein Lohn, keine Sozialleistungen

Diese als Gegenleistung für das Arbeitslosengeld geforderte Arbeit ohne Lohn wird von Betroffenen auch als «echte unechte Arbeit» bezeichnet, sagt die Soziologin ­Morgane Kuehni. Für Stellensuchende mit Hochschulabschluss bietet etwa das BNF («beraten, netzwerken, fördern») eine besondere Form von AMM: Seit 2013 dient diese nationale Organisation als Drehscheibe für den Einsatz von AkademikerInnen in wissenschaftlichen Projekten.

Damit sie die Leistungen der Arbeitslosenversicherung nicht verlieren, arbeiten die qualifizierten Stellensuchenden während drei bis sechs Monaten ohne Lohn. Ihr Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung verlängert sich dadurch allerdings nicht. Nicht einmal die Sozialleistungen bezahlen die öffentlichen Arbeitgeber. Dies sind bekannte Institutionen: die Universitäten Lausanne, Genf, Bern, ETH Lausanne, Bibliotheken, Archive, Spitäler (Inselspital, Uniklinik Lausanne), die Kantonspolizei Neuenburg ... Auch Privatunternehmen können gemäss BNF diese Arbeitskräfte in Anspruch nehmen, indem sie sich zu in der Regel 25 Prozent an den Taggeldern der Arbeitslosenkasse beteiligen.

Arbeiten und Stelle suchen

Laut der Organisation arbeiten die arbeitslosen AkademikerInnen bei einer Vollzeitstelle 70 Prozent der Zeit für das Projekt. In der übrigen Zeit besuchen sie Kurse, um ihre «Beschäftigungsfähigkeit zu steigern».

Neben der Arbeit muss die Stellensuche fortgeführt werden. Auch die monatlichen Gespräche werden weiter gefordert. Die Projektleitung muss ein Präsenzblatt führen, Ziele definieren und Zwischen- und Schlussberichte zuhanden des BNF verfassen. Diese werden an die RAV-Beraterin weitergeleitet.

Erscheint ein Stellensuchender nicht zur zugewiesenen Arbeit oder gibt er sie auf, sind Sanktionen vorgesehen: Streichung der Arbeitslosenentschädigung zwischen einem halben und drei Monaten. Im Gesetz ist die Möglichkeit einer Beschwerde gegen eine arbeitsmarktliche Massnahme vorgesehen – es sei denn, sie sei vom RAV zugewiesen worden.

keine Beschwerde möglich

Die Internationale Arbeitsorganisation definiert Zwangsarbeit wie folgt: «Jede Art von Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat. [...] Sie liegt vor, sobald sie von öffentlichen Behörden, privaten Gesellschaften oder Einzelpersonen auferlegt worden ist.» Wieso gibt es also keine breite politische Opposition gegen solche Zuweisungen?

Allgemeine Prekarisierung der Arbeit?

Diese über das Budget der Arbeitslosenversicherung finanzierten Zuweisungen sind für bestimmte Institutionen längst zum «Geheimtipp» geworden. Für die anderen werfen sie Fragen auf über zunehmende Ungerechtigkeiten des Arbeitsmarkts bis hin zur Zweiklassengesellschaft und eine allgemeine Prekarisierung der Arbeit.

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