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Verkaufsdruck am Postschalter

Der Verkaufsdruck an den Postschaltern belastet nicht nur Einzelne, sondern mehr als die Hälfte der Angestellten. Dies geht aus einer syndicom-Umfrage hervor. Die Folgen sind alarmierend: Der Teamgeist und die Freude an der Arbeit leiden, gesundheitliche Probleme und die Angst vor Stellenverlust sind an der Tagesordnung.

 

«Der Druck steigt stetig. Er führt zu schlechter Stimmung im Team, jeder wird zum Einzelkämpfer. Mitarbeiter werden nur noch am Verkauf und an den Zahlen gemessen»: So lautet kurz und bündig die Analyse einer Schalterangestellten in der Region Bern. Sie hat an der syndicom-Umfrage zum Verkaufsdruck auf den Poststellen teilgenommen und spricht mit ihrer Antwort vielen Kolleginnen und Kollegen aus dem Herzen.

Alarmierende Ergebnisse

58 Prozent der 660 Antwortenden fühlen sich durch die Vorgaben der Post belastet, die sie zwingen, immer höhere Umsätze mit dem Verkauf von postfremden Artikeln und Dienstleistungen zu erzielen. Nur 4,5 Prozent erachten die Verkaufsziele als realistisch (s. Kasten). Diese Zahlen beweisen, wie verbreitet das Problem ist.

Fast noch alarmierender seien allerdings die zahlreichen Bemerkungen, die die Schalterangestellten auf die Fragebogen geschrieben oder in ausführlichen Briefen mitgeschickt haben, sagt Claudio Marrari, Leiter der syndicom-Region Nordwestschweiz. In vielen Fällen beeinträchtigt der Verkaufsdruck nicht nur die Freude an der Arbeit, sondern führt zu gesundheitlichen Problemen, zur Angst, die Stelle zu verlieren, und zu Ärger mit den Kunden, die sich aufregen.

Nebst den angestammten Postdienstleistungen müssen die Angestellten bekanntlich im­mer mehr postfremde Waren anpreisen: Telefone, Abonnemente, Versicherungen, Lotto, Fondue, WC-Bürsten, Papeterieartikel, Süsswaren. Im letzten Jahr erzielte die Post damit einen Umsatz von einer halben Milliarde Franken. Er habe gewusst, dass der Verkaufsdruck in den Poststellen viele Angestellte belaste, meint Res Keller, Leiter der syndicom-Region Bern/Oberwallis: «Aber ich bin doch erstaunt, wie krass die Resultate unserer Umfrage sind.»

Zu hohe Verkaufsziele

Die Verkaufsziele wurden in den letzten Jahren mehrmals erhöht, sie sind oft deutlich zu hoch angesetzt, lautet der Tenor der Antworten. Es sei «unrealistisch», die Verkaufsziele am Schalter «nur mit Ansprache der Kunden» zu erreichen, schreibt beispielsweise eine Angestellte aus der Zentralschweiz. «Es ist schwierig, die Mitarbeitenden bei solch hohen Zahlen zu motivieren», bemerkt die Leiterin einer kleineren Poststelle. Vor allem die Vorgaben im Telecombereich erachten viele als äusserst ehrgeizig. Manche Poststellenleiter halten ihre Angestellten dazu an, Freunde und Bekannte auf Telecom-Abonnemente anzusprechen. «Das finde ich eine Zumutung», regt sich ein syndicom-Mitglied auf. Aus mehreren Antworten geht hervor, dass solche Abschlüsse im privaten Kreis eine verbreitete Praxis sind, um die geforderten Zahlen zu erreichen.

Andere versuchen, ihre Punktezahlen aufzubessern, indem sie selber Geräte erstehen, um sie dann nach Möglichkeit weiterzuverkaufen. «Ich kaufe monatlich ein Fixnetztelefon», steht auf dem Fragebogen einer Angestellten aus der Stadt Bern. Hinzu kommt, dass die Telecom-Produkte einem raschen Wechsel unterworfen sind, sodass ein permanenter Weiterbildungsaufwand erforderlich ist: «Wir sollten ein Wissen an den Tag legen wie ein Verkäufer, welcher ausschliesslich in diesem Bereich tätig ist», lautet die Analyse einer Schalterangestellten aus dem Kanton Schwyz.

Rauer Wind an der Front

Natürlich können manche mit dem Druck besser umgehen als andere. In dieser Beziehung spielt auch die Haltung der Poststellenleiter eine Rolle. «Ich habe zum Glück einen Chef, der mich motiviert und nicht ständig Druck ausübt», bemerkt eine Kollegin aus dem Kanton Luzern. Viele sind dem harten Wind an der Verkaufsfront aber schonungslos ausgesetzt. «Mir wurde mit der Kündigung gedroht, wenn ich meine Verkaufszahlen nicht markant steigere», schreibt eine Angestellte aus einer grösseren Berner Landgemeinde. Andere berichten davon, dass sie von Vorgesetzten als unfähig abgestempelt würden. Oft falle der Satz: «Wenn du dich nicht mit dem Verkauf identifizieren kannst, musst du dir eine andere Stelle suchen.»

Der Druck wird an Rapporten, ausserordentlichen Standortgesprächen, Teamsitzungen und am Focus-Gespräch ausgeübt. Dieses jährliche Mitarbeitergespräch dient auch dazu, die individuellen Verkaufsziele fürs folgende Jahr festzulegen. Dabei wären wohl die meisten Angestellten nicht grundsätzlich gegen den Verkauf von postfremden Waren. Viele äussern ausdrücklich Verständnis für die Notwendigkeit, dies zu tun. Fast allen stösst aber sauer auf, dass sich alles nur noch um die Umsatzzahlen dreht und andere Kompetenzen kaum noch gefragt sind: «Heute muss ich nur verkaufen und Punkte bringen, alles andere ist egal»: Diese Antwort steht stellvertretend für Dutzende mit der gleichen Aussage. Auf der Strecke blieben Fähigkeiten wie «guter Kundendienst, Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft, alle diese Werte, die ich gelernt habe».

Im Sandwich

Auf das «Ansprechen» zum Verkauf postfremder Produkte reagiert nicht selten auch die Schalterkundschaft genervt. Von dieser Erfahrung ist in zahlreichen Antworten die Rede. Das Schalterpersonal gerät ins Sandwich zwischen den geforderten Verkaufszahlen und den Bedürfnissen der Kundschaft: «Wir werden am Schalter vermehrt angemotzt. Aber wenn wir nicht immer ansprechen, erreichen wir das Ziel nicht», sagt eine Mitarbeiterin aus einem Berner ­Vorort.

Vielen schlagen der ständige Verkaufsdruck, der abnehmende Teamgeist, das Einzelkämpfertum und die mangelnde Wertschätzung buchstäblich auf den Magen. «Die Situation macht uns krank, ausgelaugt und deprimiert», heisst es in einer Antwort. Sie ist kein Einzelfall. In sehr zahlreichen Bemerkungen ist von gesundheitlichen Problemen, von Stressgefühlen, Schlaflosigkeit oder einem drohenden Burnout die Rede.

Darunter leidet die Freude an der Arbeit und die traditionell sehr hohe Verbundenheit der Postangestellten mit ihrem Unternehmen. «Der Spass an der Arbeit ist nicht mehr gleich wie früher», schreibt ein Luzerner Kollege. Einzelne wollen deswegen vorzeitig in Pension gehen, andere bilden sich weiter, wie diese Berner Kollegin: «Ziel: endlich weg vom Schalter.»


Peter Krebs

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