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Voller Zugriff auf meine Krankenakte?

Die Vernetzung hat längst auch sensible Daten erfasst: die Bankenwelt, das Gesundheits­wesen. Medizinische Berichte, Labor­analysen, Röntgen­bilder und Zahnkarten liegen digital vor, Handy-Apps und Fitnessgeräte senden detaillierte Mess­werte. Das persönliche Gesundheits­dossier wird zur Fundgrube für Datensammler. Was bedeutet das für uns?

 

Im Spital und in mancher Arztpraxis wird die Krankengeschichte jedes Patienten, jeder Patientin schon lange elektronisch aufbewahrt. Diese «klassischen medizinischen Daten» werden aber in Zukunft massiv erweitert durch Gesundheitsdaten, die in «Echtzeit», also im Zeitpunkt ihrer Entstehung, ermittelt und ausgewertet werden. Mit speziellen Sport-Armbändern, Waagen und einfachen Schrittzählern oder über sensorgekoppelte Apps auf dem Smartphone können permanent Messungen zu Energieverbrauch, Blutzuckerspiegel, Puls oder Gewichtskurve und noch viel mehr dieser Gesundheitsdaten im Zeitverlauf gesammelt und analysiert werden.

Auf der regulatorischen Ebene sind zahlreiche Länder mit der Einführung von elektronischen Versichertenkarten und Patientenausweisen befasst. In der Schweiz ist die Strategie «Gesundheit 2020: Die gesundheitspolitischen Prioritäten des Bundesrates» aus dem Jahr 2013 wegweisend. Darin ist unter anderem festgehalten, dass «eHealth» gefördert werden soll: «Mit eHealth-Instrumenten können die Versorgungsqualität und die Patientensicherheit verbessert werden, indem alle Behandelnden jederzeit und überall Zugriff auf relevante Informationen und Unterlagen der PatientInnen haben. Damit leistet eHealth einen Beitrag zu mehr Effizienz, weil Doppelspurigkeiten in der Diagnostik vermieden werden. Bei der Umsetzung ist dem Schutz persönlicher Daten grosse Bedeutung beizumessen.»

 

Sämtliche Gesundheitsdaten einer Person an einem Platz

Die entscheidende Veränderung ist die Einführung des elektronischen Patientendossiers, das sämtliche verfügbaren Gesundheitsdaten eines Menschen enthält. Die gesetzliche Grundlage dazu ist im Bundesgesetz über das elektronische Patientendossier (EPDG) enthalten. Es wurde im Juni 2014 im Ständerat behandelt und mit kleinen Veränderungen ohne Gegenstimme an den Nationalrat überwiesen.

Ausgerüstet mit einer vernetzten persönlichen Krankengeschichte, kann sich ausgewiesenes, berechtigtes medizinisches Personal (Ärztinnen, Therapeuten, Spitäler) viel einfacher als heute einen Gesamtüberblick über die Gesundheitsgeschichte einer Person verschaffen. Dies kann zu rascheren Diagnosen führen und sich im Notfall als lebensrettend erweisen. Versicherungen, Behörden, Arbeitgeber, Verbände, Pharma- und andere Firmen im Gesundheits- und Ernährungsbereich haben jedoch ebenfalls ein sehr grosses Interesse an anonymisierten und nicht-anonymisierten Patientendaten und Dossiers.

 

Dateneigentum und Persönlichkeitsschutz: die grossen Herausforderungen

Die grösste Gefahr bei eHealth betrifft den Persönlichkeitsschutz, den Datenschutz und vor allem die Eigentumsrechte an den persönlichen Gesundheitsdaten. Stichwort ist der «gläserne Patient». Sowohl der gesetzlich geregelte Zugriff auf die Gesundheitsdaten durch Krankenkassen, Pharmakonzerne, Informatikanbieter, der aber dennoch den Persönlichkeitsschutz kompromittieren kann, aber natürlich auch der illegale Zugriff – dies alles ist ein grosses, ungelöstes Problem. Gesundheits- oder eben Krankheitsdaten sind begehrte Informationen: Immer wieder und immer häufiger werden Fälle bekannt, wo auch Arbeitgeber veritable Krankheits-Fichen über ihre Mitarbeitenden anlegen und unter Umständen untereinander austauschen. Der flächendeckende Zugriff auf unsere Gesundheitsdaten ist längst kein Hirngespinst mehr.

 

Arztgeheimnis unter Druck

Das Arztgeheimnis – und damit auch das Vertrauensverhältnis zwischen Ärztin/Arzt und Patientin/Patient – steht unter enormem Druck. Die Online-Abfrage von Krankheits- oder Behandlungsdaten durch die Krankenkasse würde dieser in Zukunft ermöglichen, umgehend zu intervenieren und damit sowohl auf die behandelnden ÄrztInnen als auch auf die PatientInnen noch mehr Druck auszuüben: Behandlungen zu stoppen, PatientInnen auszuschliessen oder Behandlungen zu rationieren.

Und das Hauptproblem: die Umsetzung unserer unbestrittenen Eigentumsrechte an unseren eigenen Gesundheitsdaten ist technisch noch keineswegs geklärt, geschweige denn gesichert, auch wenn das neue Gesetz dies vorsieht. ETH-Professor Ernst Hafen, Mitbegründer des Vereins «Daten und Gesundheit», kämpft dafür, dass alle auch in der Praxis die Hoheit über ihre Daten behalten.

In einem Interview mit dem «Beobachter» führt Hafen aus: «Es braucht einen Kulturwandel. Erstens bei den Bürgern, indem sie erkennen, dass ihre Daten einen Wert haben, unabhängig davon, ob jemand in der Schweiz oder den USA oder in Afrika lebt. Datenmässig sind wir alle Milliardäre, und diesen Schatz wollen wir nicht länger Google oder Apple überlassen. Zweitens braucht es ein Bewusstsein, dass man die persönlichen Daten in digitaler Selbstbestimmung so verwalten kann wie das eigene Geld. So kann jeder und jede zu einer effektiveren Gesundheitsversorgung und zur Forschung einen Beitrag leisten. Das ist die wahre personalisierte Medizin.»

 

«Ich bestimme, was ich preisgebe»

Die Risiken sind gemäss der SPO Patientenschutz erheblich. In einem Interview zum Thema «Digitale Gesundheitsdaten als Allheilmittel?» führt die Geschäftsführerin der SPO, Lotte Arnold-Graf («IT for Health» 1/2014), aus: «Missbrauch ist hier sicher ein Thema. Wer kontrolliert den Datenschutz? Daten sind viel wert. Kürzlich ist bekannt geworden, dass ein amerikanischer Konzern Patientendaten verkauft hatte, die nicht anonymisiert waren. (…) Fehldiagnosen oder Verdachtsfälle könnten ein weiteres Problem sein. Ein Arzt muss nur notieren: ‹Verdacht auf ...› Was passiert, wenn das festgehalten wird und diskriminierende, stigmatisierende Folgen für den Patienten hat? Deshalb ist es wichtig, dass sich der Patient mündig macht. Die Freiwilligkeit von Patientenseite her ist vordergründig: Ich bestimme, was ich preisgebe.»

 

Was heisst das für uns?

Als GewerkschafterInnen müssen wir die Gesundheits-Gesetzgebung aus 3 verschiedenen Perspektiven kritisch diskutieren:

  • Aus der Perspektive des Persönlichkeitsschutzes, des Datenschutzes und der Datenautonomie – das Gesetz muss diese Ziele sehr gut definieren und auch griffige Mittel für deren Umsetzung und Verteidigung enthalten, damit die Interessen der Gewerkschaftsmitglieder als PatientInnen gewährleistet sind.
  • Das Gesetz muss die Anforderungen an die technische Umsetzung so klar definieren, dass mögliche «Service-Provider» für deren Verletzung haften, und diese müssen zwingend nachweisen, wie sie den Datenschutz und die Cyber-Crime-Abwehr umsetzen können. Damit sind Firmen mit Sitz in der Schweiz und MitarbeiterInnen in der Schweiz nicht benachteiligt und der Zugriff durch ausländische Dienste und Firmen kann deutlich reduziert werden.
  • Die Umsetzung erfordert nicht nur griffige Gesetze, sondern auch firmeninterne soziale Innovationen, die für die Umsetzung der technischen Erneuerungen (eHealth-Dossiers) wie auch der Umsetzung des Persönlichkeitsschutzes, der Datensicherheit und der Datenautonomie von Bedeutung sind.

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