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Wachstum basiert auf Pump

«Die Wirtschaft braucht stetiges und dauerhaftes Wachstum»: Diese Meinung vertreten die meistenLeute aus Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften. Dem halte ich meine erste und einfachste These entgegen: In einer begrenzten Welt ist unbegrenztes Wachstum nicht möglich. 

Dabei argumentiere ich primär ökologisch: Schon heute bewirken globale Produktion und globaler Konsum eine Übernutzung der Natur: Die Weltbevölkerung konsumiert durchschnittlich 1,5 Mal, die Schweizer Bevölkerung sogar 4 Mal mehr Ressourcen, als die Natur regenerieren kann. Wir leben also auf Pump gegenüber der Natur und unseren Nachfahren. Darum muss die Menge des globalen Naturverbrauchs verringert werden.

Auf Kosten der Natur

Der Naturverbrauch ist eng verknüpft mit der Wirtschaftsleistung, gemessen am Bruttoinlandprodukt (BIP). Das Welt-BIP resultiert aus dem Konsum pro Person und der Zahl der Personen, die auf unserem Planeten leben. Wer also das Wachstum stoppen will, muss sowohl die Zunahme des Konsums pro Person als auch die Zunahme der Bevölkerung begrenzen. Allerdings sind Reichtum und Konsum weltweit höchst ungleich verteilt. Ein Mensch in Indien zum Beispiel hat im Durchschnitt nur einen Bruchteil so viel Geld und verbraucht in seinem Leben nur einen Bruchteil so viel Ressourcen wie ein Mensch in der Schweiz. Daraus folgen zwei weitere Thesen: Die Begrenzung des Konsums pro Kopf kann nur gelingen, wenn die verbleibende Menge gerechter verteilt wird. Das erfordert eine Umverteilung, erstens zu Lasten der reichen Industriestaaten und zweitens zu Lasten der Oberschicht in allen Staaten nach dem Prinzip: Ein Mensch soll nur so viel Naturgüter konsumieren, dass die Erde langfristig nicht vor die Hunde geht, wenn alle andern sieben Milliarden Menschen genauso viel konsumieren.

Spätestens an dieser Stelle folgt jeweils ein gewichtiger Einwand: Die Grenzen des Wachstums sind nicht starr. Mit Forschung und Technik können wir die Effizienz unseres Verbrauchs von Energie und anderen Naturgütern steigern. Das stimmt zum Teil, aber eben nur zum Teil: Auch die Produktivitätssteigerung stösst an Grenzen. Raum und Zeit lassen sich nicht vermehren. Erfahrungen und Statistiken zeigen, dass die Effizienzfortschritte immer wieder überkompensiert werden durch einen steigenden Bedarf, also das Wachstum der Wirtschaft. In Thesenform: Wachsende Grenzen können die Grenzen des Wachstums nicht aus der Welt schaffen.

Auch wirtschaftlich auf Pump

Auch ökonomisch gerät das Wachstumsdogma ins Wanken. Denn in den Industriestaaten wächst die Staatsverschuldung seit rund zehn Jahren stärker als das BIP. Mit Verschuldung halten wir also ein Wachstum auf Kosten der nächsten Generationen aufrecht, das ohne Verschuldung bereits zum Stillstand gekommen wäre. Wir leben also, und das ist meine letzte These, nicht nur ökologisch, sondern zunehmend auch finanziell auf Pump der nachfolgenden Generationen.

Dies ist die zentrale Frage: Wie gelangt man von einer Wachstumsgesellschaft ohne grössere wirtschaftlich-soziale Krisen in eine Gleichgewichts-Wirtschaft? Diese Frage kann ich nicht beantworten. Das kann heute leider niemand. Es gibt kein ökonomisches Gegenmodell zum Wachstum, weil alle unbeirrt auf Wachstum setzen.

Darum ist es dringend nötig, dass sich Politik und Gewerkschaften, Wissenschaft und Wirtschaft die zentrale Frage endlich stellen: Wie gestaltet man eine Wirtschaft ohne Wachstum?

Der Ausweg aus der Wachstumsfalle ist kein Spaziergang, aber unausweichlich. Ich beschränke mich hier auf einige Stichworte: In erster Linie braucht es eine Lenkungsabgabe auf Energie und andere Rohstoffe, welche die Plünderung der Natur verteuert und damit vermindert. Das Verursacherprinzip ist durchzusetzen.

Wachstumsfördernde Subventionen und Mengenrabatte bei Energie- und Verkehrstarifen müssen abgeschafft werden. Arbeitszeitverkürzungen und ein gesichertes Grundeinkommen sorgen dafür, dass der Zwang zur Arbeit und damit die Steigerung der Produktion vermindert werden.

Um den Druck zu vermindern, wachsen zu müssen, um die Renten finanzieren zu können, plädieren wir in unserem Buch für eine Erbschaftssteuer zur Finanzierung der Renten. Und eine weitere Forderung: Kapitaltransaktionen sollen besteuert werden, um die Ausdehnung des Kapitalmarktes zu bremsen.

* Hanspeter Guggenbühl ist freier Journalist und Sachbuchautor. Zusammen mit Urs P. Gasche verfasste er u. a. «Schluss mit dem Wachstumswahn: Plädoyer für eine Umkehr» (Rüegger 2010).

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