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Warnstreik in Deutschland

Nach den Streiks ihrer Kolleginnen und Kollegen in anderen Regionen Deutschlands streikten am 8. Juni auch die Angestellten der Freiburger Druck, wo die «Badische Zeitung» gedruckt wird. Nur ein Warnstreik, aber der Auftakt für mehr. Ein Augenschein vor Ort.

 

Die Beschäftigten in der deutschen Medienbranche wollen endlich mehr Geld. «Fünf Prozent mehr» verlangten streikende Angestellte der Freiburger Druck am 8. Juni im badischen Freiburg. Viel Schaden angerichtet hat der knapp zweistündige Warnstreik im Morgengrauen nicht. Die «Badische» ist um fünf Uhr morgens bereits ausgeliefert, einige Wochenblätter sind vielleicht liegengeblieben. Darum ging es aber gar nicht.

Der Warnstreik vor der «Badischen» stellte einen Auftakt dar. Die VersandarbeiterInnen, die zum Bereich Druck und Papier der deutschen Gewerkschaft Verdi gehören, wollten deutlich machen: «Wir können, wollen und wir werden streiken».

Druck-und-Papier-Löhne sinken seit 10 Jahren

Die KollegInnen der «Stuttgarter Zeitung/Stuttgarter Nachrichten», der «Süddeutschen» und des «Mannheimer Morgens» und etliche andere hatten bereits gestreikt, um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen. Am 13. Juni fand in Deutschland die vierte Verhandlungsrunde des Bereichs Druck und Papier statt, kurz darauf folgten die Tarifverhandlungen der Zeitschriften- und Zeitungsredaktionen sowie die der Angestellten im privaten Rundfunk.

Die Gewerkschaft Verdi, der Deutsche JournalistInnenverband (DJV) und die deutsche JournalistInnenunion (DJU), die zu Verdi gehört, hatten alle Beschäftigten in den Druckereien und Zeitungsredaktionen zu Warnstreiks aufgerufen. Zwischen 0,8 und 2 Prozent hatten Druckereien und Verlage bis dahin geboten, dazu einiges an verbalem Säbelrasseln: «Die Gewerkschaften sägen am eigenen Ast. Redakteurinnen und Redakteure an deutschen Tageszeitungen beziehen absolut wettbewerbsfähige Gehälter», so der Chefunterhändler des Bundes Deutscher Zeitungsverleger.

Sparen ist ein Trugschluss

«Offensichtlich glauben Druckereien und Verlage, sie leben auf einem anderen Planeten», konterte Siegfried Heim, Verdi-Mann für Medien, Kunst und Industrie in Baden-Württemberg. Medienschaffende müssten seit zehn Jahren Reallohnverluste hinnehmen. In anderen Branchen wie in der deutschen Metallindustrie und im Baugewerbe wurden in diesem Jahr gute Tarifabschlüsse erzielt. «Wir wollen uns nicht länger abhängen lassen», forderte Verdi.

Zum Teil mit Erfolg: Die Beschäftigten in der deutschen Druckindustrie bekommen eine Lohnerhöhung von 3,8 Prozent in zwei Stufen, diejenigen im Privatradio 3 Prozent. Gültig sind beide Vereinbarungen bis 2018. Die Tarifverhandlungen für TageszeitungsjournalistInnen wurden am 15. Juni ergebnislos beendet und auf den 29. Juni verschoben. Auch Ergebnisse für die Angestellten in den Zeitschriftenredaktionen lagen zu Redaktionsschluss noch nicht vor.

Gerade weil die Medien sich derzeit in einem Transformationsprozess befänden, sei die Konzentration der Arbeitgeber auf weitere Kostensenkungen ein Trugschluss, betont Siegfried Heim. Dadurch gehe wichtiges Potenzial für Innovationen verloren. Der Berufsbereich verliere an Attraktivität.

Schneller arbeiten

Wie in der Schweiz ist auch in Deutschland das Geld knapp. In den Redaktionen wird gespart, ganze Medienhäuser werden zusammengelegt, zuletzt die «Stuttgarter Zeitung» und die «Stuttgarter Nachrichten». Seit 2000 hat der deutsche Medienbereich einen Fünftel der Beschäftigten verloren. «Jede Umstrukturierung wird ausgenutzt, um Stellen zu streichen», sagt Heim.

Der Arbeitsdruck habe merklich zugenommen. «Wer ständig am Rande eines Burnouts arbeitet, ist nicht innovativ», stellt Heim fest. Die Tendenz, die sich abzeichne, müsse im Interesse aller gestoppt werden: «Im Kapitalismus kommt immer der Punkt, an dem krisenhafte Entwicklungen Probleme aufzeigen und Veränderungen verlangen», sagt er.

2-Klassen-Redaktionen

Deutschlands Medientariflandschaft ist uneinheitlich, das macht Lohntarifverhandlungen schwierig. Nur etwa die Hälfte der Arbeitgeber erkennt noch eine Tarifbindung an. «Den Kollegen in den Unternehmen mit Tarifbindung geht es noch relativ gut», berichtet der Gewerkschafter, «in Betrieben, die in den letzten Jahren aus der Tarifbindung ausgestiegen sind, geht es inzwischen deutlich schlechter.» Dazu kommen Häuser, bei denen ein gemischtes Modell gilt. So haben beim «Schwarzwälder Boten» die alteingesessenen Angestellten noch gute Bedingungen. Neueinstellungen werden zu schlechteren Konditionen gemacht. Und das bedeutet, so Siegfried Heim, «zwischen 25 und 30 Prozent weniger Jahresgehalt».

In der gesamten Branche, beobachtet Heim, «nehmen prekäre Arbeitsbedingungen zu». Besonders leiden freie Mitarbeiter, bei denen auch anerkannte Tarife oft umgangen werden. Sich juristisch zu wehren, traut sich fast keiner. «Etwa zwei Dutzend Klagen» habe es bundesweit bisher gegeben, lässt man bei der zentralen Medienstelle der Gewerkschaft Verdi wissen, wo man dringend ein Verbandsklage­recht fordert.

Erfolge der Vergangenheit

Dort zählt man auch auf, zu welchen Bedingungen die deutschen RedaktorInnen derzeit arbeiten: ein Einstiegsgehalt von etwa 3000 Euro, je nach Betrieb 13 bis 14 Monatsgehälter, Staffelung nach Berufsjahren, mindestens 30 Tage Urlaub, 36,5 Wochenstunden für Zeitungsangestellte, 36 Stunden bei Zeitschriften. Betriebsräte haben das Recht, aber nicht die Pflicht, eine allgemeine Zeiterfassung einzuführen, was in Deutschland von den meisten Medienangestellten befürwortet wird.

Für Schweizer Ohren klingt das, vom Lohn abgesehen, paradiesisch. Für Verdi sind es die Erfolge der Vergangenheit, die man nicht aufs Spiel setzen will.

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