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Wenig Raum und Zeit, um die Arbeit gut zu machen

Viele Projekte, ständige Reorganisationen und ein hoher Arbeitsanfall belasten die Angestellten bei PostFinance. Viele wünschen sich, dass mehr Personal eingestellt wird. 

«Die Mitarbeitenden engagieren sich mit Begeisterung und legen grossen Wert darauf, dass PostFinance in der Schweizer Finanzbranche eine besondere Rolle spielt», gab die neue Post-Chefin Susanne Ruoff nach einem Besuch bei PostFinance in Köniz (BE) gegenüber der MitarbeiterInnen-Zeitung «Die Post» zu Protokoll.

Es ist genau dieses Engagement für ihren Arbeitgeber, das viele Angestellte von PostFinance an ihre gesundheitlichen Grenzen bringt: «Man kratzt permanent an der Grenze seiner Kräfte», so bringt es ein Angestellter des IT-Bereichs bei PostFinance auf den Punkt. Der mit IT-Design-Fragen beschäftigte Mitarbeiter berichtet, dass der Arbeits- und Kostendruck stark angestiegen sei und sich die Überstunden häuften. Gerade in der IT gebe es unendlich viele Lösungsmöglichkeiten für komplexe Fragestellungen. Aus­serdem brauche Innovation Zeit und falle nicht einfach vom Himmel. Man pröbele und pröbele, teste Möglichkeiten und lote Grenzen aus, um innovative Lösungen zu entwickeln und möglichst optimal in die bestehende Landschaft zu integrieren. Dies führe oft zu Verzögerungen, und plötzlich müsse man Nachtschichten einbauen.

«Einerseits ist der Arbeitsstress eine Folge davon, dass wir Mitarbeitenden die bestmögliche Lösung zugunsten eines innovativen Produkts finden wollen und dabei die Zeit vergessen. Andererseits wird aber auch die nötige Zeit für diese Innovationen von den Vorgesetzten nicht zur Verfügung gestellt», betont der Informatiker. Hinzu käme die Menge an parallel ­laufenden Projekten und dann noch die ständigen Reorganisationen: «Neben der Projektarbeit steht noch die Alltagsarbeit an.» Er wünscht sich, dass mehr Personal eingestellt wird. Nur so sei die Gratwanderung zwischen Innovation und betrieblicher Stabilität möglich. Er wünscht sich aber auch, dass mehr auf Sozialkompetenz Wert gelegt wird, wenn künftig Führungspersonal angestellt wird: «Wir brauchen gut ausgebildete Chefs, die rechtzeitig Stopp sagen, ohne uns das Gefühl zu geben, wir hätten versagt.»

Lärm und Berge von Arbeit

Mehr Personal wünscht sich auch die junge Frau, die im Backoffice von PostFinance arbeitet. Sie erfasst in einem Grossraumbüro Daten und Daueraufträge, bearbeitet Kontoeröffnungen und -aufhebungen und kümmert sich um Vollmachten. «Ich mache alle Hintergrundarbeiten, die ohne Kundenkontakt gemacht werden können», sagt sie über ihre Tätigkeit. Auch wenn die Arbeit Aussenstehenden auf den ersten Blick vielleicht langweilig erscheine, gefalle sie ihr sehr, denn sie sei abwechslungsreich. Auch in ihrem Team fühlt die Mitarbeiterin sich wohl. «Wir unterstützen uns gegenseitig und helfen uns aus», erklärt sie.

Mühe hat sie mit dem teilweise hohen Lärmpegel im Grossraumbüro, vor allem aber mit dem enormen Arbeitsdruck. Sie sei ständig am Abarbeiten der Aufträge mit hoher Priorität, die mit roter Farbe markiert sind. «Wenn man gut und genau arbeitet, bleibt man auf einem Berg von Arbeit sitzen.» Das stresse viele.

Hinzu komme die Weiterbildung, für die von den Vorgesetzten nicht genügend Zeit eingeräumt werde. Innert kürzester Zeit müssten die Mitarbeitenden sich mit Neuerungen wie der Abgeltungssteuer oder dem Geldwäschereigesetz auseinandersetzen. Eine Kollegin oder ein Kollege sitze dann jeweils neben ihr und führe sie in die neue Materie ein. Daneben wartet aber das normale Arbeits­pensum, das ebenfalls erledigt werden muss. «Ein zusätzlicher Stressfaktor ist, dass nicht alle WissensträgerInnen so gut erklären können. Man kann ihnen oft nicht gut folgen», ergänzt eine Kollegin. Die beiden Frauen, die seit vielen Jahren bei der Post arbeiten, stellen unisono fest, dass die Post nicht mehr das soziale Unternehmen ist, das sie einmal war.

«Die Post wird immer mehr ein stinknormales Unternehmen, das nur noch an den Gewinn denkt», sagt auch ein Kollege im Aussendienst von PostFinance. Es werde am Personal gespart, Vakanzen würden nicht ersetzt, die Überstunden nähmen zu, die Zielvorgaben würden ständig geändert. Als Kundenberater ist er viel unterwegs und stellt Firmen in der ganzen Nordwestschweiz die PostFinance-Angebote E-Rechnung und E-Payment vor: «Ich schaue vor Ort, welche Lösungen für die Kunden Sinn machen.» Auch er schwärmt, wie viele andere Postangestellte, von seiner Arbeit, die in seinem Fall eine Mischung aus Verkauf, Kundenkontakt und technischem Know-how sei. Und die Arbeit sei spannend, weil sie Einblick in unterschiedliche Branchen ermögliche. Zunehmend unzufrieden ist er damit, dass die Zielvorgaben ständig zuungunsten der KundenberaterInnen geändert würden. Bei Angestellten, deren variabler Lohnanteil zwischen 20 und 40 Prozent liege, wirkten sich die Änderungen der Zielvorgaben massiv aus. «Am Ende des Monats hat man schlicht weniger Lohn», stellt er fest. Es sei ihm bewusst, dass dies ein Jammern auf hohem Niveau sei. Aber die einseitige Änderung der Spielregeln zuungunsten des Personals hinterlasse bei den Angestellten ein ungutes Gefühl.

Judith Stofer, freischaffende Journalistin BR.

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