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Wenn Angehörige krank sind

Rund 220 000 berufstätige Frauen und 110 000 Männer pflegen zu Hause ihre kranken Angehörigen. Was bedeutet diese Doppel­belastung für sie? Wie werden sie am Arbeitsplatz unterstützt? Diese Fragen diskutiert unsere Artikelserie. 

 

Noch immer übernehmen mehrheitlich Frauen die Pflege kranker Familienmitglieder, der Anteil der pflegenden Männer beträgt ein Drittel. Um die 330 000 erwerbstätige Personen betreuen und pflegen Angehörige oder nahestehende Personen.

Armutsrisiko

Umfragen in neun Betrieben aus verschiedenen Branchen zeigten: im Schnitt mussten 26 Prozent der Angestellten Arbeit und Pflege von Angehörigen unter einen Hut bringen. Bei Eintritt eines Pflegefalls in der Familie arbeitete die Hälfte der involvierten Personen Vollzeit, im Laufe der Pflegephase reduzierten zwei Drittel ihr Arbeitspensum, 19 Prozent gaben die Erwerbsarbeit auf (vgl. dievolkswirtschaft.ch, 2014).

Handlungsbedarf erkannt

Der tägliche Spagat zwischen Erwerbsarbeit und unbezahlter Pflege ist erst seit einigen Jahren überhaupt ein öffentliches Thema. Ende 2014 veröffentlichte der Bundesrat den Bericht «Unterstützung für betreuende und pflegende Angehörige». In der Schweiz gibt es, anders als zum Beispiel in Deutschland, keine Pflegeversicherung, welche die Lohnfortzahlung bei Ausfällen oder Arbeitsreduktion garantiert.

Versicherung angedacht wie bei Mutterschaft
Der Bundesrat will zuerst kurzfristige Massnahmen überprüfen: bezahlte Kurzabsenzen, Anspruch auf unbezahlten Urlaub mit Kündigungsschutz sowie eine Ausweitung der Betreuungsgutschriften für die AHV.

Für eine längerfristige Verbesserung der Situation von erwerbstätigen Familienpflegenden stellt er eine Versicherung nach dem Modell der Mutterschaftsversicherung oder eine nach Einkommen abgestufte Lohn­ergän­zung zur Diskussion. Als dringlich stuft er die Sensibilisierung der Arbeitgeber ein. Beim Arbeitgeberverband wird auf der Webseite zwar darauf hingewiesen, dass familiäre Pflege unterstützt werden soll, doch einen Ausbau der Sozialversicherungen schliesst der Verband kategorisch aus. Er setzt ausschliesslich auf individuelle Lösungen wie flexiblere Arbeitszeit, unbezahlten Urlaub und Sozialberatung im Betrieb.

Im Arbeitsgesetz sind gerade mal 3 Freitage für berufstätige Mütter oder Väter verankert, wenn ein Kind erkrankt.

Was bieten die GAV?
«Mit Hilfe der Gewerkschaften wird die Problematik auch in immer mehr Gesamtarbeitsverträgen zum Thema», sagt Nina Scheu, Mediensprecherin von syndicom: «Aber es gibt noch viele Verbesserungsmöglichkeiten. So hatten wir in der grafischen Industrie 2015 noch ganz andere Kämpfe zu bestehen.» Im neuen GAV für die Callcenter gibt es jetzt ein Recht auf bis zu drei bezahlte Freitage, um die Pflege erkrankter Angehöriger zu organisieren. «Es ist wichtig, dass der Anspruch ausdrücklich im GAV festgehalten ist. Damit wissen alle, welche Rechte sie haben», sagt Daniel Münger von syndicom, «Work & Care wurde über den GAV überhaupt erst ein Thema im Branchenverband.» Im GAV Skyguide der Flugsicherung sind bereits zwei bezahlte Freitage festgelegt.

In der nächsten Folge werden die konkreten Verhältnisse beim «Tages-Anzeiger» und bei Swisscom beleuchtet.

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