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Werbung lässt die Muskeln spielen

Die Knebelung der Presse ist in vielen Ländern an der Tagesordnung, auf JournalistInnen wird politischer und wirtschaftlicher Druck ausgeübt. Auch in der Schweiz, wie Stephanie Vonarburg und Roger Blum ausführen.

Neben China und Nordkorea ist seit ein paar Jahren die Türkei für JournalistInnen ein besonders gefährliches Pflaster. Während die Türkei auf Platz 151 der von Reporter ohne Grenzen publizierten Rangliste der Pressefreiheit steht, nimmt die Schweiz Rang 7 ein. Trotzdem gibt es auch in der Schweiz rechtliche und wirtschaftliche Defizite, sagt Roger Blum, emeritierter Professor für Medienwissenschaft an der Universität Bern.

Einerseits werde etwa die Recherche mit versteckter Kamera in den meisten demokratischen Ländern freier gehandhabt als bei uns. Anderseits schreiten die Fusionen in der Medienbranche fort, was die Meinungsvielfalt reduziert und die Ressourcen schmälert. Blum: «Das erlaubt weniger Recherche und weniger kritischen Journalismus.»

Dass Geld auch die Medienwelt regiert, weiss Stephanie Vonarburg. Die Juristin und Zentralsekretärin von syndicom verweist dabei auf Inserateboykotte gewichtiger Firmen, die angesichts der klammen Finanzlage vieler Verlage gerne mit den Muskeln spielen. So wurde kürzlich bekannt, dass die UBS seit einem Jahr keine Anzeigen mehr in «Finanz und Wirtschaft» schaltet, weil der Grossbank die Berichterstattung nicht passt. «Das ist kein Einzelfall, zahlreiche Boykotte werden gar nicht bekannt», meint Vonarburg.

Drohungen

Auch schon die Drohung oder die Angst vor einer solchen kann reichen, auf eine Recherche zu verzichten. Wenig hilfreich sind da Aussagen wie die von Markus Somm, Chefredaktor und Besitzer der «Basler Zeitung», der kürzlich den Unternehmen riet: «Wenn ihr nicht zufrieden seid mit den Medien, dann müsst ihr aufhören, Inserate zu schalten.» Überraschenderweise erhielt er gar Unterstützung vom Verlegerpräsidenten Hanspeter Le­bru­ment, der sagte: «Als Verleger kann ich nicht den Helden spielen und dabei einen Grosskunden verärgern.»

Kein Gesamtarbeitsvertrag

Wenn der oberste Schweizer Verleger Verständnis für die Beeinflussung der Redaktionen durch die Inserenten zeigt, ist das schlimm genug. «Derselbe Le­bru­ment ist aber auch verantwortlich für die Kündigung des GAV vor zwölf Jahren», kritisiert Stephanie Vonarburg. Das Vertragswerk ist nicht nur wichtig für die Löhne, sondern ebenso für die Unabhängigkeit des Journalismus. So umfasste der frühere GAV etwa den Schutz der RedaktorInnen und freien JournalistInnen in berufsbezogenen Rechtsfällen sowie den Anspruch auf ein Redaktions­statut.

Öffentlichkeitsgesetz

Nachholbedarf ortet Vonarburg auch beim Öffentlichkeitsgesetz. Seit 2004 sind alle verwaltungsinternen Informationen der Öffentlichkeit zugänglich, die nicht aus besonderen Gründen unter Verschluss bleiben müssen. «Viele Bundesstellen und Kantone haben diese Denkweise noch nicht verinnerlicht», so die Gewerkschafterin.

Und wo der freie Zugang im Prinzip gewährt werde, würden gelegentlich prohibitive Gebühren verlangt oder die Anfrage verschleppt – bis das Thema kalter Kaffee sei. Gewisse Fortschritte gibt es beim Artikel 293 StGB, der die Veröffentlichung geheimer amtlicher Verhandlungen regelt – zeitgemäss wäre seine komplette Abschaffung.

Quellenschutz bedroht

Schliesslich ist der Quellenschutz seit 2013 zwar solide gesetzlich verankert. Doch im Einzelfall komme es immer wieder zu Druckversuchen auf Medienschaffende, die sich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen.

Bundesgeld könnte Verbesserung bringen

Zwar gefährden juristische Hürden und fehlender GAV den kritischen Journalismus. Doch die Medienschaffenden sind erfinderisch. «Journalismus ist in den letzten Jahren technisch und methodisch besser geworden. Dazu tragen auch die internationalen Recherchenetzwerke bei», erklärt Blum. Jüngstes Beispiel ist die konzertierte Veröffentlichung der «Panama Papers». Punkto Finanzierung favorisiert Roger Blum ein Stiftungsmodell, wie es auch die Eidgenössische Medienkommission vorschlägt: Eine Institution soll Gelder für Recherchen vergeben, ohne politisch-administrativen Einfluss. Steuergeld für journalistische Recherche? Blum: «Kritischer Journalismus ist existenziell für eine Demokratie. Erst recht für eine direkte Demokratie.»

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