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Wie smart ist Smartvote?

Welche Auswirkungen hat die Digitalisierung auf die Politik und unsere politische Mitsprache? Sind Online-Wahlhilfen tatsächlich transparente Wegweiser oder machen sie uns Wählende vielmehr zu Marionetten? 

 

Rund einen Monat vor den eidgenössischen Wahlen sind sie überall: Die Köpfe auf den Plakaten, die uns angrinsen, umrahmt von Wahlslogans und Partei­logos. Die Videos, die Werbeflyer. Am 18. Oktober wählen Schweizerinnen und Schweizer ein neues Parlament. Doch nicht nur junge Erwachsene sind überfordert angesichts des Plakate­dschungels, von Begriffen wie Proporz und Majorz, panaschieren oder kumulieren. Denn viele Stimmberechtigte kennen zwar ihre eigene Wertehaltung sehr gut, nicht aber diejenigen der Parteien oder gar der Kandidierenden.

Solchen Personen sollen Online-Wahlhilfen wie Smartvote weiterhelfen. Das Prinzip scheint einfach: Wählende und Kandidierende beantworten die gleichen 30 oder 75 Fragen zu politischen Themen. Schliesslich wertet das System aus, mit welchen Kandidierenden die Wählende die meisten Übereinstimmungen hat. Die Grafik «Smartspider» unterstreicht dann das Resultat bildlich.

Die Spinne und ihre Tücken

Entwickelt hat das Smartspider-System unter anderem Politgeograf Michael Hermann. 2003 konnten die Wahlberechtigten bei den Parlamentswahlen zum ersten Mal darauf zurückgreifen. Betrieben wird Smartvote vom politisch neutralen Verein Polittools mithilfe finanzieller Unterstützung von Gemeinden, Parteien, Medien und Privatpersonen. Doch das System ist nicht unumstritten, aus mehreren Gründen. Einer ist die Art der Auswertung. Füllt man nämlich selbst einen Fragebogen aus, so erscheinen auf der Liste erst einmal kaum bekannte Namen. Mit diesen Personen hat man selbst zwar die grösste Übereinstimmung bei den Antworten.

Würde man sie aber tatsächlich wählen, würde man kaum etwas bewegen, die eigene Stimme ginge nämlich unter. Die wirklich bekannten und wohl auch chancenreicheren Namen folgen erst auf den hinteren Plätzen der Auswertung. Dass sich Wählende eher für diese entscheiden, zeigt auch die «Selects»-Studie des Politologen Georg Lutz. Faktoren wie die Parteizugehörigkeit oder Erfahrung gewichten Wählende allgemein stärker bei ihren Kandidierenden. Zudem wollen die meisten gar nicht unbedingt die grösstmögliche prozentuale Übereinstimmung mit jemandem.

Vielmehr werden Kandidierende bevorzugt, die zwar eine ähnliche Wertehaltung haben, aber viel extremere Positionen vertreten. Georg Lutz erklärte das einst folgendermassen: Ein Wähler, der sich mehr soziale Gerechtigkeit wünsche, wähle tendenziell eher einen Politiker, der den Kapitalismus abschaffen möchte. Dies obschon das tatsächlich gar nicht im Sinne des Wählers sei.

Begrenzter Nutzen

Ein weiterer wunder Punkt bei Smartvote ist die Fragestellung: Sie lässt nur Ja- oder Nein-Antworten zu, die Beweggründe aber lässt sie aus. So ist die Zuordnung zu einer politischen Haltung schwierig. Beispielsweise kann jemand aus religiösen Gründen gegen gentechnisch veränderte Organismen sein oder aber, weil er ökologisch denkt. Politiker und Parteien stiessen sich während der vergangenen Jahre immer wieder an den Fragebögen und forderten ein Mitspracherecht. Mittlerweile dürfen sie die Fragen im Vorfeld anschauen, ein Vetorecht bei der Auswahl will Smartvote ihnen aber nicht geben. Für PolitologInnen ist klar: Smartvote kann zwar bei der rationalen Auswahl der passenden Kandidaturen helfen. Und das tut es mittlerweile, wie die «Selects»-Wahlstudie belegt: Rund 375 000 Personen nutzen die Seite.

Doch dürfe man das Instrument nicht überschätzen. Denn genau messbar sind politische Einstellungen nicht. Und genau das täuschen die Grafik und die Prozentangaben vor.

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