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«Wir haben Geschichte geschrieben, oder?»

In den USA ist es fast ein Wunder, wenn in einem grossen Unternehmen eine Gewerkschaft etabliert werden kann. Aber manchmal gelingt es. Dies zeigen die jüngsten Beispiele bei Amazon und Starbucks, die hoffen lassen.

© Nour Eliz Jabbes

Vor einem Jahr stimmten die Beschäftigten von Amazon in Bessemer, Alabama, über die Gründung einer Gewerkschaftsvertretung ab. Nach einem harten, von Unregelmässigkeiten begleiteten Kampf überwogen die Nein-Stimmen. Aber für Christy Hoffman, Generalsekretärin von UNI Global Union, wurde damit ein Tabu gebrochen. «Nun sind weitere Gewerkschaftswahlen möglich. Eine davon können wir gewinnen.»

Und so war es. Am 1. April 2022 wurde das Logistikzentrum in Staten Island zum ersten Amazon­Standort in den USA mit einer gewerkschaftlich organisierten Belegschaft. Dieser Sieg beruht auf der Einsicht, dass dem System, das Amazon durch die Ausbeutung seines Personals exzessive Gewinne ermöglicht, ein Ende gesetzt werden muss. Dieser Sieg ist auch dem Mut der Angestellten zu verdanken: Sich seinem Arbeitgeber entgegenzustellen, ist nicht einfach. Noch weniger in den USA und wenn der Arbeitgeber Jeff Bezos heisst. Natürlich ist der Kampf dafür, einen anständigen Arbeitsvertrag verhandeln zu können, erst der Anfang. Aber in Staten Island wurde Geschichte geschrieben, wie Angelica Maldonado, Präsidentin der Amazon­Gewerkschaft, erklärte: «Wir haben einiges erlebt, bis wir diesen Wandel herbeiführen konnten. Für uns Aktivist:innen bedeutet dies zu wenig Schlaf und zu wenig Zeit zu Hause. Und wir taten dies neben unserer Arbeit für Amazon. Dass wir heute gewonnen haben, scheint mir unwirklich, wie ein Traum. Wir haben Geschichte geschrieben, oder?»

Die Geschichte ... Die Hürden für eine Gewerkschaftsbildung in den USA sind sehr hoch. Will man eine Gewerkschaft gründen, um kollektive Verhandlungen zu führen, muss laut Gesetz nachgewiesen werden, dass sich die Mehrheit der Beschäftigten dafür ausspricht, es muss also auf Verlangen von mindestens 30 Prozent der Angestellten eine Wahl durchgeführt werden. Das ist sehr komplex. Die Politik von Amazon war immer antigewerkschaftlich. Sie will die absolute Kontrolle behalten. Das hat man in Bessemer gesehen. Zunächst versuchte Amazon mit allen Mitteln zu verhindern, dass 30 Prozent des Personals eine Wahl fordern. Als das nicht gelang, wurden im Wahlkampf unfaire Mittel eingesetzt: Man hängte nicht nur überall Plakate auf und verschickte tägliche SMS mit der Aufforderung, Nein zu stimmen. Es wurde auch eine Firma, die sich auf die «Aufrechterhaltung eines gewerkschaftsfreien Arbeits platzes» spezialisiert hat, eingeschaltet. «Union Avoid ance» (Gewerkschaftsvermeidung) ist in den USA eine richtige Industrie. Unternehmen sind bereit, Hunderte Millionen Dollar für die Gewerkschaftsbekämpfung auszugeben. Solche Taktiken bilden mit die grössten Hindernisse für Gewerkschaftsgründungen. So ging die gewerkschaftliche Organisation im Privatsektor von 35,7 % im Jahr 1953 auf nur 6,2 % heute zurück.

Vor Kurzem hat sich das Personal eines Amazon-­Zentrums in New York gegen eine Gewerkschaft ausgesprochen. Auch hier wurde über Einschüchterungen berichtet. In Bessemer wurde die Abstimmung von der nationalen Behörde wegen unzulässiger Einflussnahme für ungültig erklärt. Erst gerade gab es eine erneute Abstimmung, die wiederum ein Nein ergab. Aber das Resultat war trotz der anhaltenden Machenschaften des Giganten knapp. Die Gewerkschaften machen Angst.

Amazon ist nicht der einzige Konzern, dessen Beschäftigte sich gewerkschaftlich organisieren wollen. Im Dezember stimmten die Angestellten von zwei StarbucksCafés in Buffalo bzw. New York ab. Über 180 Filialen der Kette äussern sich noch dazu. Nun ist die Reihe an Apple. Der Weg ist geebnet – aber Rückschläge sind möglich.


Federico Franchini, der Artikel ist erschienen im syndicom magazin Nr. 29

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