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Würde bewahren in der Krise

Tinu Oesch ist Teamleader im Logistikzentrum für die Briefverarbeitung (LZB) in Ostermundigen, welches die Post ab Mitte 2018 schrittweise schliessen wird. «Vorbehältlich der Resultate des Konsultationsverfahrens würden rund 15 Vollzeitstellen verloren gehen», heisst es in einer Medienmitteilung. Und weiter: «Es soll keine Entlassungen geben.» Die Potenz der Sortiermaschinen in Härkingen ist wohl der Hauptgrund für die Schliessung des LZB Ostermundigen. «Ich unternehme alles in meiner Macht stehende, dass für meine Mitarbeitenden gute Lösungen gefunden werden», sagt syndicom-Mitglied Tinu Oesch mit Nachdruck.

 

Tinu Oesch erscheint an diesem klaren, hellen Herbstnachmittag in Töffmontur zum Gespräch auf der Café-Terrasse. Wenn immer es das Wetter zulässt, fährt der 45-Jährige mit dem Motorrad zur Arbeit. Er setzt sich und legt los: «Schon 2008, als im Zuge von REMA (Re-Engineering Mailprocessing) die Logistikabteilung in der Berner Schanzenpost geschlossen wurde und wir hierher gezügelt sind, wurden wir vorgewarnt, dass nach Ablauf des 10-Jahres-Vertrags weitergeschaut werden würde.» Dieses «Weiterschauen» bedeutet nun höchstwahrscheinlich die Schliessung der Logistikbasis in Ostermundigen.

In der Krise fährt man die Ellenbogen aus

Im LZB Ostermundigen arbeiten jetzt 96 Personen, welche 69 Personaleinheiten abdecken. Tinu Oesch führt ein Team von achtzehn Personen in der Annahmestelle: drei arbeiten 100%, die übrigen Teilzeit. Zusammen mit der Jahresarbeitszeit ermöglicht dies sehr flexible Einsätze.

Doch die neue Situation verändert für den energiegeladenen, engagierten Teamchef die Rahmenbedingungen: «Als im Juni die Info über eine mögliche Schliessung des LZB kam, breitete sich Verunsicherung aus. Ich machte den Leuten nichts vor, sondern sagte: Rechnet mit Härkingen – oder sucht eine neue Stelle.» Und er thematisierte den Umgang der Mitarbeitenden miteinander. Denn er habe bereits bei der Schliessung der Berner Schanzenpost erlebt, wie bei der Stellensuche «die Ellenbogen ausgefahren werden». Die meisten schauten nur noch nach ihrem eigenen Gärtli. «Ich aber wünsche mir respektvolle Verhältnisse, wir können nur als Team funktionieren.»

Begreifen, was und wie schnell es gehen wird

Als Teamleader führt Tinu Oesch viele Gespräche. Manchmal spreche er die Leute spontan an, wenn er sie gedankenverloren an der Maschine stehen sehe. Er habe die Mitarbeitenden darauf aufmerksam gemacht, dass sie «gerade jetzt» herausfinden müssten, was sie wollten. Dazu müssten sie aber wissen, wer sie seien. Manche hätten vielleicht nicht ganz begriffen, «was und wie schnell es gehen wird». Einige dächten, das sei nur Panik­mache, damit sie sich nach einer andern Stelle umschauten. Andere nähmen die Situation zum Anlass, einen sozialeren Job als die Spät- oder Nachtschicht bei der Post zu suchen. Etliche bewerben sich wie wild und ein paar andere – wie er selber – warten erst mal ab.

«Es war streng wie nirgends, aber schön!»

Tinu Oesch aus 3616 Schwarzen­egg BE steht seit 1988 im Dienst der gelben Riesin. Er machte die Monopollehre in Aarberg und kam dann in die Schanze nach Bern. Er lernte das Schleppern und Staplern, arbeitete zwölf Jahre auf dem Postbahnhof und dann im Fahrdienst. «Das war die schönste Zeit! Streng war es dort wie nirgends, aber ich lernte selbständiges Arbeiten.»

Nach Auflösung der Bahnpost fand er eine Stelle in der Annahme auf der Schanze und holte das Fähigkeitszeugnis nach. Die Post bezahlte dies, schon im Hinblick auf REMA. «Ein Abschluss würde nötig sein, wenn sie uns auf den freien Markt werfen würden.» So Tinu Oeschs schnörkelloser Kommentar.

REMA und die Schliessung der Schanze fielen zusammen und einige Leute kündigten überraschend, worauf Tinu Oesch Teamleader im neuen Logistikzentrum in Ostermundigen wurde. Seit der Umstrukturierung vor zwei Jahren steht er dem Team vor, das sich um die Frankierung und Sendungsaufbereitung kümmert. Vom Beginn seines Berufslebens an war er Mitglied von syndicom. «Als Einzelne haben wir viel weniger Gewicht. Die Gewerkschaft vertritt unsere Interessen und bündelt unsere Kraft. Und wenn ich rechtliche Fragen habe, weiss ich immer, wo ich mir kompetente Auskunft holen kann.»

Weiterbildung Führungsfachmann

Tinu Oesch bildete sich zum Führungsfachmann weiter. «Da lernte ich mich selber so richtig kennen. Und fand heraus, dass ich sehr sozial denke, gern führe und mich in Gruppen wohlfühle.» Er ist der Älteste von vier Geschwistern, machte immer Mannschaftssport und führt seit zwanzig Jahren ehrenamtlich eine Hockeyschule. «Ich übernehme gerne Verantwortung. Das ist mein Ich. Und ich habe einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn.» Er habe nicht vergessen, wie es sei, nicht Vorgesetzter, sondern einfach Teil eines Teams zu sein.

Lähmung im Konsultationsverfahren

Im Konsultationsverfahren werden nun Ideen gesammelt, wie es weitergehen könnte (Stand: 1. Okt., d. Red.). Laut Tinu Oesch glauben die meisten der betroffenen Mitarbeitenden allerdings nicht, dass sie etwas bewirken können. «Auch an der Teamsitzung wollten viele nicht diskutieren, ob wir etwas gemeinsam tun könnten.»

Wenn Härkingen – dann lange und weniger Schichten

Der Teamleader informierte trotzdem über seine Eingaben bei der Post: «Wenn Härkingen, dann lange Präsenzzeiten für die Teilzeitangestellten, damit sie möglichst wenig fahren müssen. Die Wegkosten sollten bezahlt werden.»

Viele Betroffene hätten Zweitjobs: «Putzen, Büro, Hauswart». Post-interne Möglichkeiten zur Ausübung dieser Berufe müssten abgeklärt werden. Und die Post müsse Geld hervorholen und Ausbildungen bezahlen.

Tinu Oesch empfindet keinen Groll gegen seine Arbeitgeberin. «Eine Riesenfirma muss heutzutage wohl so geführt werden, und in der Privatwirtschaft geht es zum Teil noch ganz anders zu. Aber frag mich dann später noch einmal, wenn wir die Stellenangebote kennen.»

Vorsichtige Annäherung an einen Branchenwechsel

Von diesen hängt auch ab, ob seine eigene Zukunft bei der Post liegt. Auf dem Bauernhof seines Bruders, wo er aushilft, haben schon «Geburtstagsevents» für Kinder stattgefunden. Vielleicht liesse sich das Angebot ausbauen. Auch das Projekt LUB, Landwirtschaft und Behinderung, interessiert ihn. Er könnte sich vorstellen, die Lehre als Bauer nachzuholen. Hausmann wäre ebenfalls eine Möglichkeit, denn die Mutter seiner drei Söhne ist krank. «Ich weiss, dass im Leben von einer Sekunde auf die andere alles anders sein kann.»

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