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Zeit aufzuwachen!

Der Westschweiz ist es zu verdanken, dass das Radio- und Fernsehgesetz am 14. Juni angenommen wurde. Ein Nein in der Deutschschweiz hatte sich bereits seit Längerem abgezeichnet. Doch das klare Resultat im Tessin überraschte.

 

Vor allem den DeutschschweizerInnen muss ich immer wieder erklären, weshalb sich die Tessiner Bevölkerung deutlich gegen die Neuregelung ausgespro­chen hat, die endlich alle Unternehmen erfasst und vor allem niedrigere Fernsehgebühren für die Privathaushalte bringt. Ausgerechnet ein Kanton mit einer extremen Sensibilität für alles, was Arbeit und Arbeitsplätze betrifft, sendet hier ein Signal aus, das man nicht anders interpretieren kann denn als Nein zu Subventionen und, wenn man noch weitergehen will, als Freipass für den Abbau des Service public.

populismus herrscht vor

War es Kurzsichtigkeit, Ignoranz oder politische Indoktrination? Auf jeden Fall haben die TessinerInnen bedenkenlos Hunderte von Arbeitsplätzen aufs Spiel gesetzt. Am häufigsten hiess es auf Nachfrage: «Ich habe Nein gestimmt, weil ich diese ungerechte Steuer ablehne.» Anders gesagt: Man will nicht bezahlen für etwas, das man nicht konsumiert. Dabei sind die Nutzungsdaten der privaten Radio- und Fernsehprogramme und der SRG-Ausstrahlungen eindeutig: Die überwältigende Mehrheit der Wohnbevölkerung im Kanton Tessin macht von diesen Angeboten regelmässig Gebrauch. Selbstverständlich nicht nur, indem Radio ge­hört oder ferngesehen wird, sondern auch übers Internet oder das Mobiltelefon.

Wenn man bei den Neinsagern nachhakt und die Diskussion etwas vertiefen will, wird es inter­essant. Ich habe festgestellt, dass die Meinungsbildung zu diesem Thema fast immer aus dem Bauch heraus stattfand, auf einer emotionalen Ebene und im Windschatten einer populistischen politischen Kampagne, die mit dem einfachen Rezept «Weniger Steuern für alle» auf Stimmenfang geht. Kaum jemand hat realisiert, dass ein Nein einen Angriff auf den gesamten Service public bedeutet hätte – mit dem Nebeneffekt, dass das gegenwärtige Medienangebot von RTSI (Radio Televisione Svizzera Italiana) zerschlagen worden wäre – einhergehend mit einem direkten oder indirekten Abbau zahlreicher Arbeitsplätze.

kampagne im hintergrund

Der Nationalrat hat das Gesetz in der Schlussabstimmung mit 109 : 85 Stimmen gutgeheissen. Abgelehnt wurde es von der SVP-Fraktion, von den Grün­liberalen und von einem schönen Teil der FDP. In den Wochen vor der Abstimmung haben wir dann beobachtet, wie eine Medienkampagne gegen das neue Radio- und Fernsehgesetz gefahren wurde, vor allem in der Presse. All die Zeitungs­titel, die sich als Informationsorgane für diese, milde ausgedrückt: parteiische Kampagne hergaben, waren jene aus dem Umkreis der erwähnten politischen Kräfte – natürlich wie immer mit Ausnahmen wegen anders gelagerter Interessen.

Am Tag nach der Abstimmung trat der Verein Medien Schweiz in vollkommener Eintracht zwischen Westschweizer, Deutschschweizer und Tessiner Sektionen schon wieder mit seinen Lieblingsforderungen an die Öffentlichkeit: kompletter Abbau des Service public bei der Information bzw. vollständige Öffnung für die Privatwirtschaft.

für den service public einstehen

Was schert es diese Kreise, wenn wir in Zukunft für unsere TV-Programme nicht mehr wie heute 400 Franken bezahlen, sondern zum Beispiel die 864 Euro, die ein Sky-Abonnement in Italien kostet? Aber ist uns tatsächlich egal, wenn die Kohle in die Taschen von Unternehmern fliesst, die ihre Medien nach eigenem Gutdünken ausbauen – ohne irgendwelche Rechenschaftspflichten, ohne Rücksicht auf sprachliche Minderheiten, ohne Angebote für Gehörlose; die sich keinen Deut scheren um journalistische Standards oder gute Arbeitsbedingungen?

Wir als StimmbürgerInnen müssen endlich erkennen, dass derzeit eine breit orchestrierte Strategie zum Abbau des Service public umgesetzt wird, die in den nächsten drei Jahren garantiert auch die Post und die Telekommunikation ins Visier nehmen wird. Es ist höchste Zeit für uns alle, aufzuwachen!

 

Barbara Bassi

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