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Zwei, die alles wollten

An den Solothurner Filmtagen gleich in drei Kategorien für den Schweizer Filmpreis nominiert: Werner Schweizers Film «Verliebte Feinde» über die Liebe zwischen der Feministin Iris von Roten und dem katholischen Politiker Peter von Roten ist ein dichtes Dokudrama über zwei engagierte Ausnahmepersönlichkeiten aus der Mitte des 20. Jahrhunderts. 

Als die Juristin Iris von Roten ihr feministisches Manifest «Frauen im Laufgitter» veröffentlichte, schlug das Buch wie eine Bombe ein und die halbe Schweiz war 1958 in Aufruhr versetzt. Die Forderungen der mutigen und kämpferischen Intellektuellen nach ökonomischer, politischer, sozialer, aber auch sexueller Gleichberechtigung der Frauen waren für die damalige Schweiz ein Skandal. Das war nicht weiter verwunderlich, denn nicht nur das Frauenstimmrecht war noch in weiter Ferne – erst 1971 wurde es nach mehreren Anläufen eingeführt –, sondern auch im Bereich des Erwerbslebens der Frauen herrschten unvorstellbare Zustände: So konnte der Ehemann einer berufstätigen Frau deren Arbeitsverhältnis beenden – mit der Begründung, die Frau vernachlässige wegen ihrer Berufstätigkeit den Haushalt.

Iris von Roten hatte für ihr Buch jahrelange Recherchen innerhalb und ausserhalb der Schweiz betrieben, die bis in die 1940er-Jahre zurückreichten. Der Vorspann des Films zeigt eine Iris von Roten, die im Jahr 1948 eine erste Reise in die USA unternimmt, aus der dann ein Aufenthalt von über einem Jahr wurde. Erklärter Zweck jenes Aufenthalts war für Iris von Roten aber nicht nur die Forschung. Die seit 1944 mit dem katholisch-konservativen Walliser Politiker Peter von Roten verheiratete Frau plädierte auch ganz offen für sexuelle Freiheit. Und die galt nicht nur für sie, sondern selbstverständlich auch für ihren Mann während der langen Monate des Getrenntseins.

Für das damalige geistige Klima in der Schweiz waren derartige Ideen jenseits von Gut und Böse, und so distanzierten sich auch jene Frauenverbände, die für die Einführung des Frauenstimmrechts kämpften, von Iris von Roten und ihrem Buch. Es ist heute kaum mehr vorstellbar, wie sehr der mutigen Autorin nach der Veröffentlichung von «Frauen im Laufgitter» nackter Hass, aber auch Hohn und Spott entgegenschlugen. Einen ganz kleinen, leider zu kurzen Eindruck davon vermittelt Werner Schweizers Film an einer Stelle, wo Dokumentaraufnahmen von der Basler Fasnacht 1959 zu sehen sind und wo Iris von Roten und ihr Buch in primitivster Weise der Lächerlichkeit preisgegeben werden.

Zweitausend Briefe

Auch für die kämpferische Frau gingen diese Anfeindungen weit über das hinaus, was sie erwartet hatte. Sie zog sich weitgehend aus dem öffentlichen Leben zurück und widmete sich fortan dem Reisen und der Malerei. Seit dem (Frei-)Tod Iris von Rotens 1990 und jenem ihres Mannes im Jahr darauf sind mehrere Publikationen über Leben und Werk dieser grossen Schweizer Feministin erschienen, die umfassendste und spannendste ist dabei jene von 2007 von Wilfried Meichtry mit dem Titel «Verliebte Feinde».

Der Walliser Historiker wertete dafür fast zweitausend Briefe von Iris und Peter von Roten aus und vermittelt so das Bild einer ebenso komplexen wie hochexplosiven grossen Liebe zwischen zwei Querdenkern. Werner Schweizer stellt auf dieser Grundlage nun die Geschichte eines aussergewöhnlichen Liebespaares ganz ins Zentrum, er nimmt den Titel noch wörtlicher, als dies das Buch tat. Mona Petri («Hello Goodbye») als Iris von Roten und Fabian Krüger («Der Sandmann») als ihr Gatte parlieren dabei Bühnendeutsch, was gewöhnungsbedürftig ist, ebenso wie die den Spielfilm immer wieder unterbrechenden dokumentarischen Ausschnitte und Aussagen von Zeitzeugen und Familienangehörigen, allen voran von der Tochter Hortensia von Roten.

Werner Schweizer, der «Verliebte Feinde» in enger Zusammenarbeit mit Wilfried Meichtry geschaffen hat, erklärte vor der Premiere an den Solothurner Filmtagen einiges über seine Beweggründe zu dieser Verfilmung: «Es ist faszinierend, wenn wir heute, über fünfzig Jahre nach Erscheinen von ‹Frauen im Laufgitter›, sehen, wie Iris und Peter von Roten ihre Ideal­vorstellungen einer emanzipierten Beziehung gelebt haben. Deshalb wollte ich die Geschichte dieses aussergewöhnlichen Liebes- und Ehepaares erzählen. Nicht nur als Wiedergutmachung für die Schmähungen, die Iris von Roten erleben musste. Sondern weil ich überzeugt bin, dass ihre Fragestellungen, ihre Auseinandersetzungen auch heute noch existenziell und aktuell sind.»

* Geri Krebs ist freier Journalist und Filmkritiker in Zürich.

Das gleichnamige Buch von Wilfried Meichtry ist 2012 in einer Neuauflage im Verlag Nagel und Kimche erschienen.

«Frauen im Laufgitter» von Iris von Roten wurde 1997 letztmals neu aufgelegt und ist zurzeit nur antiquarisch zu finden.

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