Artikel

Auf Tour mit einem Wagenführer: Fahren zwischen Nacht und Tag

Roman Locher ist Wagenführer bei der Post. Er fährt Briefe und Pakete vom Härkinger Brief- und Paketzentrum zu den regionalen Poststellen und von diesen nach Härkingen. Von den Kundinnen und Kunden wird er kaum je gesehen, denn seine Arbeit beginnt zu nachtschlafender Zeit. syndicom war einen Tag lang mit ihm unterwegs, um zu erfahren, wie der Berufsalltag im Fahrerhaus eines Postlastwagens aussieht.

 

Die Arbeitszeiten

Die Wagenführer arbeiten in Schicht. Um 4.15 Uhr geht es für Roman Locher los, kurz nach 12 Uhr mittags ist er fertig. Bisweilen muss er auch schon um 3 Uhr beginnen, an Samstagen gar noch früher. Beliebter seien bei ihm und den KollegInnen die Spättouren, die gegen Mittag beginnen und um 22 Uhr enden.

Der Lohn

Der Einstiegslohn der Chauffeure liegt zwischen etwa 4150 Franken für LehrabgängerInnen ohne Berufserfahrung und 5100 Franken für höher Qualifizierte, hinzu kommt ein 13. Monatslohn. Im Verlauf von zwölf Berufsjahren gibt es dann systematische Lohnanstiege von insgesamt 15 Prozent. Roman Locher will nicht klagen. Der erfahrene Chauffeur bezeichnet sich als «Altlast», arbeitet er doch seit 1988 im Unternehmen, seit 1996 als Post-Wagenführer. Brutto erhält er gut 5850 Franken, daneben wird ihm eine Wagenführerzulage von 200 Franken im Monat ausgezahlt. «Aber für die Verantwortung, die wir tragen, ist es eigentlich zu wenig», sagt er – und findet Zustimmung vom Kollegen am Pausentisch.

Die Arbeitsabläufe

Lange am Stück fährt Roman Locher kaum. Alle 20 Minuten hält er an, liefert entweder Pakete und Briefe an eine Poststelle aus, lädt eingegangene Sendungen von den Poststellen auf oder nimmt Expressaufträge von Grosskunden entgegen. Fahren, aussteigen, laden oder entladen, einsteigen und weiterfahren – das ist der Berufsalltag des Wagenführers. «Ich bin eigentlich froh darum, denn so vergeht die Zeit recht schnell», sagt Locher. Weniger froh ist er über einen anderen Arbeitsschritt: jede Ladung muss gescannt werden. «Dabei floppt der Scanner seit fünf Jahren. Etwa einmal in der Woche stürzt das Ding ab. Würde ich so arbeiten wie dieses Gerät, wäre ich innert Wochenfrist gekündigt!» Trotzdem würde weiter auf dessen Anwendung bestanden, zum Unmut vieler Fahrer. Nützlicher seien hingegen andere Neuerungen. So habe die Post als eines der ersten Unternehmen Kameras genutzt, die das Manövrieren der Lastwagen erleichtern und zu einem grossen Sicherheitsgewinn geworden sind. Auch die Fernsteuerung der Hebebühne will der Chauffeur nicht mehr missen.

Die Abläufe aber wiederholten sich ständig. «Du hast es recht rasch gesehen», meint Locher. Die Arbeit sei seit seinen Anfängen entwertet und langweiliger worden. «Früher gab es noch aus­sergewöhnliche Ereignisse, wie Geldtransporte.» Die zunehmende Vereinfachung der Arbeitsschritte bringt Roman Locher zum Schluss: «Wir arbeiten nur noch, weil die Maschinen gewisse Schritte nicht können.»

Die Nacht

Pakete transportieren bedeutet, in der Schwärze zu fahren. «Im Winter ist der Lichtmangel belastend. Da fährt man fünf bis sechs Stunden in der Dunkelheit», erklärt Locher. Besser sei es im Sommer, wo man auch wunderbare Sonnenaufgänge erlebe. Unsere Tour mit dem Chauffeur brachte hingegen nur den Wechsel von Nachtschwarz zu Regengrau mit sich – das schlägt aufs Gemüt: «Mit dem Alter merke ich das immer mehr. Mitten in der Nacht zu arbeiten, daran gewöhnt man sich kaum», sagt der 52-Jährige. Auch die Müdigkeit ist trotz sorgsam geplanter Ruhezeiten immer ein Thema. Hier macht sich die frühe Schichtarbeit bemerkbar.

Die Belastung

Der Job als Wagenführer setzt die Arbeitenden grossen körperlichen Belastungen aus. So wiegen die Sammelbehälter voller Pakete, die Roman Locher ein- und ausladen muss, bis zu 600 Kilo. Bisweilen schiebt oder zieht er zwei oder gar drei der Behälter – am Tag sind es mehrere Tonnen, die so zusammenkommen. Gerade das Ziehen über Schrägen sei anstrengend. «Noch habe ich keine Anzeichen von körperlichem Verschleiss, aber das könnte natürlich passieren», meint Locher. Neben der physischen Arbeit ist es auch die Kälte, der die Fahrer im Winter ausgesetzt sind – oder die plötzlichen Umschwünge vom geheizten Fahrerhaus in die Frische.

Die Verantwortung

«Du musst immer da sein, sonst ‹tätscht› es», erklärt Locher. Die Wagenführer der Post tragen eine grosse Verantwortung: mit ihren schweren Lastwagen, teilweise mit Anhängern, kann jede Unaufmerksamkeit schnell gefährlich werden. So begegnet uns auf Lochers Tour etwa ein Fahrradfahrer ohne Licht. In der Dunkelheit ist er kaum auszumachen ... Dunkelheit, die Abhängigkeit vom Wetter, die anstrengenden Arbeitszeiten, der hohe Stress und die zunehmende Verkehrsdichte machen den Fahrern die Arbeit nicht leichter. Er selbst hat zum Glück noch keinen Unfall zu vermelden. «Das ist eine Frage der Disziplin, die musst du unbedingt haben», so fasst der Chauffeur die Hauptanforderung an den Beruf zusammen. Alkohol komme da überhaupt nicht in Frage, auch nicht am Abend vor der Arbeit.

Der Stress

Zu Zeiten der PTT gab es noch 1600 Wagenführer im Konzern. Doch dann wurde rationalisiert, man richtete drei grosse Paketzentren ein. In der Folge kam es zur Ballung der Arbeit am frühen Morgen und am Nachmittag und zu Flauten zwischen diesen Zeiten. Auch wird nur noch ein Teil der Arbeit von den Post-Wagenführern erledigt, mehrheitlich wurde an private Firmen, wie zum Beispiel Dreier, ausgelagert. Der Effekt: Die Post beschäftigt noch gegen 400 Chauffeure.

Dieser Stellenabbau ging auch an den verbleibenden Chauffeuren nicht spurlos vorbei. Gerade die Zeitpläne sind immer knapper geworden. Während Roman Locher am Anfang des Tages noch drei Minuten im Plus ist, bringt schon der erste kleinere Verkehrsstau den Zeitplan durcheinander. «Die Zeit beim Fahren wieder reinzuholen, das kannst du vergessen. Sonst überschreitest du Grenzen und es wird wirklich gefährlich», sagt der Lenker. Aber jede Verspätung führt zu Verzögerungen im ganzen Betrieb, auch die Arbeit von KollegInnen wird so belastet. Darum greifen viele Wagenführer zu einem anderen Mittel, um ihre «Verspätungen» aufzuholen: sie opfern ihre Pause. «Die Zitrone ist ausgequetscht, was willst du da noch mehr herausholen?», kommentiert Locher.

Die Stimmung

«Die Stimmung ist zwar gut, aber bedrückt. Es fehlt eine Perspektive für die Zukunft», beschreibt Locher die Atmosphäre unter den Fahrern. Die Angst vor weiteren Auslagerungen und noch weiter steigender Arbeitsdichte sei immer da: «Man wünscht sich einfach, dass es nicht noch schlechter wird.» Unter steigendem Druck und oft mühseligen Befehlen von oben leidet auch das Betriebsklima. Bei vielen Kollegen spürt Locher vor allem Resignation: «Einige haben innerlich bereits gekündigt.» Für Post-Chefin Susanne Ruoff hat Locher einen Tipp: «Sie sollte mal eine Woche lang inkognito bei uns arbeiten. Dann wüsste sie sicher mehr über den Konzern.»

Die Gewerkschaft

Roman Locher ist seit 35 Jahren Gewerkschafter, davon 22 Jahre als Vorstand in der jetzigen syndicom-Sektion Olten-Solothurn. Auch unter seinen Kollegen gibt es Gewerkschafter. Dennoch sei die Teilnahme an Aktionen oder an den GAV-Verhandlungen für die Fahrer nicht immer leicht. Die zeitliche Belastung mache das gewerkschaftliche Engagement zunehmend schwieriger: «Ich habe Kollegen, die nach so einem Arbeitstag nur noch nach Hause wollen, vor den Fernseher. Auch ich komme immer wieder an meine zeitlichen Grenzen.»

Das Sozialleben

Der Job bringt den normalen Tagesrhythmus durcheinander. Während andere Leute schlafen, arbeitet Roman Locher; während andere Leute feiern, schläft er. «Ich bin Junggeselle, da habe ich keine Verpflichtungen», sagt er. Dabei wundere er sich, «wie die Kollegen mit Familie das schaffen».

Die Arbeit als Wagenführer isoliert die Beschäftigten sozial. Sind sie gegen Mittag oder spätabends fertig, müssen sie oft zuerst eine Ruhepause einlegen. Ihr Arbeitspensum sei nicht mit einem normalen Achtstundentag zu vergleichen, meint Locher. Einen Ausgleich findet der Lotzwiler in seinem Holzchalet, wo er mit Katze Felix und zwei Eseln lebt: «Dieses Stück heile Welt brauche ich einfach.» Und dahin macht er sich um 12.19 Uhr auch auf den Weg.

Informiert bleiben

Persönlich, rasch und direkt

Du willst wissen, wofür wir uns engagieren? Nimm Kontakt zu uns auf! Bei persönlichen Anliegen helfen dir unsere Regionalsektretär:innen gern weiter.

syndicom in deiner Nähe

In den Regionalsekretariaten findest du kompetente Beratung & Unterstützung

Jetzt Mitglied werden