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«Einstehen für unsere Sache ist wichtig!»

Fritz Gurtner, Sektorleiter Logistik und langjähriges Mitglied der Gewerkschaftsleitung, geht vorzeitig in Pension. Der 60-Jährige spricht über sein Verhältnis zur Post, zur Gewerkschaft und über die Herausforderungen in der Branche. 

 

syndicom: Du wirst in den nächsten Tagen dein Pult bei syndicom räumen und in den Ruhestand gehen. Wird es wirklich ruhig werden, oder hast du bereits etwas Neues geplant?

Fritz Gurtner: Nein, ich halte nicht so viel vom berühmten «Unruhestand». Meine Arbeitszeit ist abgelaufen, und jetzt kommt eine neue und hoffentlich spannende Zeit mit all den Dingen, die ich während meiner Aktivzeit nicht machen konnte. Eines verspreche ich aber: Ich werde nie mit roten Socken und Wanderschuhen die Pendlerzüge verstopfen.

Die Post hat praktisch dein ganzes Arbeitsleben geprägt: Von der Lehre als Briefträger bis zu deiner Rolle als syndicom-Vertreter bei der Aushandlung und Umsetzung des neuen Post-GAV. Welches Verhältnis hast du zu diesem Unternehmen? Was fasziniert und was ärgert dich?

Ich habe 44 Jahre Post hinter mir und die Veränderungen sind gewaltig. Der einst bodenständige Bundesbetrieb ist zu einem modernen Logistik- und ­IT-Konzern gewachsen. Wenn man dann die Möglichkeit hat, einen Konzern wie die Post in die neue Zukunft zu begleiten, sieht man natürlich auch die negativen Folgen. Die KollegInnen in der Zustellung sind einem grösseren Arbeitsdruck ausgesetzt, und in den Verarbeitungszentren wird die Kopfarbeit vermehrt durch die Maschine erledigt. Dies führt teilweise zu einer Prekarisierung der Arbeit.

Grosse Sorgen macht mir auch die Ausdünnung des Poststellen­netzes. Ich bin nicht der Meinung, man müsse eine Käseglocke über das Netz stülpen. Aber als ich in die Lehre ging, gab es noch über 4000 Poststellen in der Schweiz – heute existiert noch knapp ein Drittel davon.

Die Politik wollte eine Änderung bei der Post und hat sie zu einer Aktiengesellschaft umgestaltet – mit der Vorgabe, ­Gewinne abzuliefern. Als kritischer Staatsbürger verstehe ich das nicht. Ins gleiche Kapitel gehört, dass man die Pensionskasse massiv unterdeckt ausgelagert hat. Die Folgen sind noch heute nicht geheilt.

Das sind alles Dinge, die mich ärgern und die von syndicom viel Kraft verlangen. Die Entwicklungen in Deutschland sollten uns zudem zu denken geben: Man liberalisiert die Märkte und zerschlägt die ehemaligen Staatsbetriebe. Dadurch gibt es viele VerliererInnen. Mein Appell: Die Menschen, die bei der Post arbeiten, dürfen nicht vergessen gehen. Die 60 000 KollegInnen machen den Konzern zu dem, was er ist.

Wie wird das Unternehmen Post in zehn Jahren aussehen? Wie wird es sich entwickeln? Welche Konsequenzen hat das für die gesamte Logistik-Branche?

Der berühmte Blick in die Kristallkugel ist nicht unbedingt meine Sache. Dafür stehe ich zu fest mit beiden Beinen auf dem Boden. Die Logistik ist eine enorm dynamische Wachstumsbranche – und leider auch ein Tummelfeld von eher schwierigen Firmen. Es braucht in dieser Branche unbedingt Regulationen mittels Gesamtarbeitsverträgen.

Einen Anfang haben wir mit dem Branchen-Gesamtarbeitsvertrag KEP & Mail gemacht. Weitere müssen folgen. Es gibt hier noch sehr viel zu tun! Multi­natio­nale Onlinehändler – Zalando, Amazon, Google – drängen auf den Markt und generieren immer mehr Pakete. Da muss die Post bereit sein und sich rüsten.

Wo siehst du die grösste Herausforderung für syndicom als Gewerkschaft der Angestellten der Logistikbranche?

syndicom muss sich auf das besinnen, was uns stark gemacht hat! Wir müssen unbedingt wieder näher zu den KollegInnen, in die Betriebe. Dabei müssen wir ihre Probleme aufnehmen und konsequent bearbeiten.

Die Branche ist wie gesagt sehr heterogen und hat zum Teil lusche Firmen in diesem Bereich. Da muss syndicom ansetzen und mit den verantwortungsbewussten Verbänden und Firmen GAVs aushandeln. Man muss die andere Seite auch nicht nur immer als unsere Feinde anschauen. Bis jetzt haben wir im Dialog die besten Lösungen gefunden. Natürlich sollte syndicom auch unbedingt die Mobilisierungsfähigkeit auf- und ausbauen. Die nächsten GAV-Verhandlungen kommen schon bald.

Du warst selber immer auch ein überzeugtes Mitglied der Gewerkschaft. Welche Bedeutung hat das für dich? Welche Rolle spielen die Gewerkschaften heute noch in der Gesellschaft?

Ich erinnere mich noch gut daran, als ich 1971 die Lehre bei der PTT angefangen habe. Mein Vater sagte mir dazumal: Du gehst in eine Gewerkschaft, aber ja nicht zu den Christlichen! Diesen Rat habe ich befolgt.

Mein erster Kontakt zu den Gewerkschaften erfolgte schon nach wenigen Tagen, und ich wurde Mitglied der PTT-Union. Ich war und bin überzeugt, dass es die Gewerkschaften dringender braucht als je. Wir sind die soziale Bewegung in der Schweiz, die Probleme angehen kann, ohne auf allfällige Verluste bei Wahlen schielen zu müssen. Bei den Sozialversicherungen sind wir die politische Kraft in der Schweiz, welche viele Verschlechterungen verhindern kann.

Auch in der heutigen, von ­Social Media geprägten Zeit ist das Einstehen für unsere gemeinsame Sache wichtig. Man kann auch junge KollegInnen dafür begeistern.

Erinnern wir uns nur an den Slogan vom Ende der DDR: «Wir sind das Volk» hat die Mauer zum Einstürzen gebracht. Wir, die sozialen Bewegungen in der Schweiz, sind das Volk! Diese Gemeinsamkeit habe ich immer geschätzt, und darum war und bin ich überzeugtes Mitglied der Gewerkschaft.

Welche Erinnerungen nimmst du an deinem letzten Arbeitstag mit?

Ich weiss, dass ich mein Büro räumen werde und dann den berühmten Schlüssel abgebe. Ich weiss, dass ein neues, motiviertes Team die Arbeit fortsetzen wird. Es wird anders werden, und das ist gut so.

Wenn ich zurückblicke, bleibt mir nur eins zu sagen: Danke an mein ehemaliges Team, an Sonja, Yasmina, Heinz, Kaspar, Martin und Pascal. Ihr wart mir eine grosse Stütze. Es war schön, mit euch zu arbeiten.

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