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Typografie als Lebensprojekt

Roger Chatelain, Mitglied erst von comedia und dann von syndicom, ist einer der Begründer der Westschweizer Tage der Typografie. Er ist auch Mitverfasser des Westschweizer «Leitfadens für Typografinnen und Typografen». Noch bevor in Frankreich die Wogen hochgingen, weil eine Rechtschreibreform das Französische vereinfachen und den Accent circonflexe (teilweise) abschaffen will, brachte die Tageszeitung «24Heures» letzten November dieses Porträt. 

 

Schreibt man im Französischen Émile oder Emile? Moyen Âge oder Moyen Age? Schreiben Sie Grossbuchstaben mit oder ohne Akzent? Ihnen mag das unbedeutend erscheinen, für andere ist es äusserst wichtig. Im Westschweizer Verlagswesen tobt die Debatte seit Jahrzehnten. Heute spricht sich der «Leitfaden für Typografen» in seiner 7. Auflage zum ersten Mal für die Option ohne Akzent aus. Das ist revolutionär!

Das Werk für Fachleute – dessen letzte Auflage von 10 000 Exemplaren ohne jede Werbung vergriffen ist – gilt in Fachkreisen als Referenz. Hinter der schönen neuen Ausgabe mit grünem Einband steht Roger Chatelain, Koordinator der Redaktionskommission. Der Typograf im Ruhestand empfängt uns in seinem hübschen Haus in Le Mont-sur-Lausanne.

Liebe zur gründlichen Arbeit

Bei diesem wachen, liebenswürdigen Mann in Schwarz, dessen freimütiges Gesicht eine stilvolle Brille ziert, ist die Liebe zur gründlichen Arbeit zu spüren. Ein ganzes Leben, das der Typografie – oder der Kunst, Gedanken in Form zu bringen – gewidmet ist, hinterlässt zwangsläufig Spuren.

Roger Chatelain beschreibt den Beginn seiner Karriere so: «Nach der Mittelschule riet mir meine Mutter, in die Druckindustrie zu gehen, weil ich meine Nase ständig in die Presse steckte. Mein Vater, Uhrmacher wie viele in Courtételle, fand das eine gute Idee. Er meinte: ‹Zeitungen erscheinen jeden Tag; du läufst also nicht Gefahr, arbeitslos zu werden!›»

Der junge Mann holte sich also sein Rüstzeug als Schriftsetzer in der Druckerei des «Démocrate». Die Typografen bildeten damals noch eine richtige Zunft. «Man sagte uns, wir seien die Intellektuellen unter den Handwerkern, der Adel der Arbeiterklasse. Es gab eine sehr starke gewerkschaftliche Organisation und bedeutende Streiks.»

Inhalt und Form

1969, als er immer mehr Erfahrung sowie eine Linotype- und eine Korrektoren-Ausbildung vorweisen konnte, zog er mit seiner kleinen Familie nach Lau­sanne, um an der Typo­gra­fie­schule zu unterrichten. Er wurde zu einer Referenz auf seinem Gebiet und war an zahlreichen Publikationen beteiligt.

Zur Faszination für die Form kommt die Liebe zum Inhalt: Sein Engagement für den Schutz der französischen Sprache vor Anglisierung oder vor dem SMS-Slang führte ihn nach Quebec, Wallonien und ins Aosta-Tal, wo er mit Freunden und Beschützern von Molières Sprache Freundschaft schloss. Heute ist Roger Chatelain etwas kompromissbereiter. «Mail» statt «courriel» kommt ihm fast ohne Stirnrunzeln über die Lippen. Er konzentriert sich vor allem auf die Typografie.

Futura auf dem Mond

Während des Gesprächs blättern wir in seinem neusten Werk. Es ist das sechste seit seiner Pensionierung im Jahr 2003. Das Layout ist gepflegt, aber auch sehr kreativ. Gleichzeitig gibt er seine enzyklopädischen Anekdoten zum Besten. «Wussten Sie, dass das Schild, das die Astronauten 1969 auf dem Mond zurückliessen, in Futura beschriftet ist?» Er erwähnt seine Komplizenschaft mit Adrian Frutiger, der kürzlich verstorbenen Koryphäe der Typografie, und erzählt vom Grafikkrieg zwischen den «Klassizisten» der französischen Schule und den «germanischen» Modernisten, allen voran die Deutschschweizer.

Es wird verständlich, welche Bedeutung die Form für die Wirkung eines Buchs hat: «Wenn ich ein historisches Werk lese, mag ich eine klassische Schrift wie Garamond. Für ein Nachschlagewerk passt eine gerade Schrift wie Frutiger besser.» Man versteht immer besser, wie die Typogra­fie zu einer solchen Leidenschaft, zu einem Lebensprojekt werden kann. «Wenn man ein fertiges Buch anschaut, findet man immer etwas, das man hätte besser machen können – Kleinigkeiten, die man noch ausfeilen müsste.»

Seit Roger Chatelains Jugend haben die Computer sowohl die Produktion als auch den Konsum von Texten tiefgreifend verändert. Roger scheint diese Entwicklung nicht übermässig zu bedauern. «Für alles, was mit Illustration und Kommunikation zu tun hat, ist die Informatik ein wunderbares Instrument.» Das Projekt geht weiter.

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