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Zerreissprobe Digitalisierung

Angestellt, selbständig oder scheinselbständig? Am Fahrdienst Uber zeigt sich exemplarisch, was es für ArbeitnehmerInnen bedeuten kann, wenn sich in der digitalen Plattform- und Sharing-Ökonomie traditionelle Trennlinien auflösen.

Die neuen Firmen der Sharing Economy sorgen für erhebliche Spannungen im Arbeitsmarkt. Denn sie bewegen sich rechtlich in einem Graubereich, nutzen vorhandene Lücken im Arbeits- oder Sozialversicherungsrecht und sichern sich dadurch einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz der «Old Economy». Im Streit zwischen der Onlineplattform Uber und den Taxifahrern werden wohl bald die Gerichte entscheiden müssen, ob Uber-Fahrer selbständig arbeiten oder ob sie Angestellte der Vermittlungsplattform sind.

Neue Grauzonen

Doch es geht in dieser Frage noch um mehr: nämlich um die grundsätzliche Frage, wie solche neuen Dienste und Arbeitsformen unsere Gesellschaft verändern. Und wie wir den Veränderungen begegnen. Neben Online-Plattformen vergrössern auch Homeoffice oder mobile Arbeit die Freiräume bei der Wahl des Arbeitsortes. Und weil immer mehr Unternehmen Arbeiten in kleine Projekte zerlegen und verteilen, kommt auch die organisatorische Flexibilität dazu. Doch was wird dabei aus den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern?

Mit mehr Autonomie lässt sich Berufliches und Privates besser vereinbaren. Doch dies hat Schattenseiten: Zuvor klare Grenzen zwischen Angestellten und Selbständigen weichen auf, es drohen Selbstausbeutung und chronische Übermüdung. Die Verantwortung und das unternehmerische Risiko werden von der Firma auf den Einzelnen übertragen. Diese tiefgreifenden Veränderungen werden nicht nur bei Uber deutlich, sondern auch an anderen Crowdsourcing-Diensten, bei denen Aufträge virtuell ausgeschrieben und vermittelt werden.

Chancen und Risiken flexibilisierter Arbeit

Das Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung TA-Swiss hat kürzlich Chancen und Risiken flexibilisierter Arbeit untersucht. Die wichtigste Botschaft: Die individuellen und gesellschaftlichen Folgen sind ausgesprochen ambivalent. In welche Richtung das Pendel ausschlägt, wird nicht technisch oder ökonomisch bestimmt, sondern hängt von der Gestaltung neuer Arbeitsformen auf betrieblicher und überbetrieblicher Ebene ab. Für den Umgang mit zeitlicher und örtlicher Entgrenzung der Arbeit sind neue gesetzliche Rahmenbedingungen nötig. Sie sollten sich aber darauf beschränken, Extremformen auszuschliessen, und somit den Charakter von «Leitplanken» haben. Für die Gewerkschaften bieten sich dabei grosse Chancen, ihren Aufgabenbereich auszuweiten.

Betriebliche Flexibilität stellt hohe Anforderungen an Vorgesetzte und Mitarbeitende zugleich und setzt partizipative Organisationsmodelle voraus. Innerhalb der gesetzlichen Leitplanken sollen die Sozialpartner die Möglichkeit haben, Lösungen gemeinsam auszuarbeiten.

Besonders wichtig sind laut TA-Swiss die rechtlichen Konsequenzen der Flexibilisierung, da neue, noch undefinierte Arbeitsformen sich in rechtlichen Graubereichen bewegen. Die Studien­autorInnen fordern u. a. eine Anpassung der Arbeitszeitrege­lungen, da das Arbeitsrecht zum Beispiel Mindestruhezeiten und Maximalarbeitszeiten vorschreibt, die auf abweichende Arbeitszeitmodelle schwer anwendbar sind. Zudem sind Fragen zu klären bezüglich den Defiziten bei den Sozialversicherungen und beim Status von Scheinselbständigen.

Unia-Gutachten stuft Uber als Arbeitgeber ein

All diese Probleme zeigen sich exemplarisch bei Uber: Taxifahrer verteufeln die App, und die Behörden wissen nicht, wie sie mit der Firma umgehen sollen. In jeder Stadt gibt es unterschiedliche Bestimmungen. Uber setzt auf ein System der Scheinselbständigkeit und verweist darauf, nur eine Plattform und kein Arbeitgeber zu sein – und deshalb auch keine Sozialabgaben zahlen zu müssen. Bundesrat Johann Schneider-Ammann unterstützt diese Sicht der Dinge: Die Plattform werde sich durchsetzen, sagt er, die gesetzlciehn Normen werden sich an die neue Situation anpassen müssen.

Ein Gutachten der Gewerkschaft Unia zeigt nun aber, dass Uber in der Schweiz als Arbeitgeber einzustufen ist und die Tätigkeit der Uber-FahrerInnen unter das Arbeitsgesetz fällt. Bereits früher hatte die Suva einen Uber-Fahrer als nicht selbständig eingestuft. Das Unia-Gutachten von Professor Kurt Pärli ist das erste zur «digitalen Ökonomie» in der Schweiz. Die Ergebnisse sind deshalb wegweisend: Plattform-Arbeitgeber können sich nicht aus der Verantwortung ziehen, indem sie Arbeitsverhältnisse übers Internet oder Apps organisieren.

Gemäss Pärli agiert Uber über seine Tochtergesellschaften in der Schweiz eindeutig als Arbeitgeber, etwa aufgrund der umfangreichen Weisungen der Firma, denen ein Fahrer Folge zu leisten hat. Uber muss demnach sowohl Arbeitnehmer- als auch Arbeitgeberbeiträge entrichten. Und die Unia fordert den konsequenten Vollzug der gesetzlichen Bestimmungen zu Ruhezeiten, maximalen Arbeitszeiten und Erfassung der Arbeitszeit.

Kundenbewertungen statt Arbeitsgesetze?

Neoliberale Wirtschaftsvertreter wollen jedoch keinen Sand im Getriebe des lukrativen Geschäftsmodells sehen: Die Behörden sollen der «Collaborative Economy» nicht mit Restriktionen begegnen, sondern sie als Chance zur Schaffung von Wachstum und Arbeitsplätzen sehen. Die Behörden hätten bis jetzt mit einem Flickwerk verschiedener Regulierungsmassnahmen reagiert, was Unsicherheit schaffe.

Die Unternehmensberatung Deloitte ruft in einer aktuellen Studie gar zum radikalen Abbau bestehender Regulierungen auf: Die Sharing Economy biete die Möglichkeit, historisch gewachsene Arbeitsgesetze der «traditionellen» Wirtschaft abzuschaffen. Ein Müsterchen aus dem brisanten Forderungskatalog von Deloitte: Kundenbewertungs- und Monitorsysteme könnten «als Form der Selbstregulierung» viele der bestehenden Gesetze, etwa zur Zuverlässigkeit von Fahrern, ersetzen. Für Uber-Fahrer sollten nur noch «gewisse staatliche Mindestvorschriften» gelten, wie etwa ein Backgroundcheck.

– «Arbeits- und sozialrechtliche Fragen bei Uber-TaxifahrerInnen». Juristisches Gutachten von Kurt Pärli. Juli 2016. Download: www.unia.ch.

– «Flexible neue Arbeitswelt». TA-Swiss-Studie, Juni 2016. Download: www.ta-swiss.ch.

– «Sharing Economy: mehr, weniger oder neue Regulierungen?» September 2016. Download: www2.deloitte.com.

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