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Zustände wie im Wilden Westen

Täglich bis 500 Mal Nummern wählen, Personen am anderen Ende der Leitung begrüssen und versuchen, ihnen etwas zu verkaufen. So sieht der Alltag vieler Menschen aus, die in einem Outbound-Callcenter arbeiten. Wäre diese Arbeit anständig entlöhnt, dann wären die Arbeitsumstände besser erträglich. Leider sieht es in der Outbound-Branche aber rabenschwarz aus. 

 

Angestellte von Outbound-Betrieben berichten immer wieder über den hohen Druck ihrer Vorgesetzten, die sie zu so vielen Vertragsabschlüssen wie möglich trimmen wollen. Dabei hat Moral keinen Platz: gutgläubige Menschen wie SeniorInnen oder MigrantInnen sind beliebte Ziele.

Mit ihnen lässt sich aufgrund ihres naiven Vertrauens in die Anrufenden viel Geld verdienen. Zudem nehmen die wenigsten Callcenter Rücksicht auf die «Stern-Einträge» im Telefonbuch – 2013 gab es rund 6000 Beschwerden bei der Stiftung Konsumentenschutz. Mit strafrechtlichen Konsequenzen tut sich die Justiz noch schwer.

Gewerkschaftliche Wüste

Der psychische Druck ist massiv: Ranglisten mit der Anzahl erfolgreicher Abschlüsse der verschiedenen Mitarbeitenden werden mancherorts im Grossraumbüro aufgehängt. Diese Ranglisten sollen zu mehr Leistung anspornen und demütigen dabei diejenigen, die nicht so erfolgreich waren. «Die Arbeitsbedingungen im Outbound-Bereich kann man gut und gerne als Wildwest bezeichnen», sagt Daniel Münger, Zentralsekretär bei syndicom. Bezeichnend für die sehr schlechten Arbeitsbedingungen ist die extreme Fluktuation: In den meisten Outbound-Centern wechselt in einem Jahr nahezu die gesamte Belegschaft. Gewerkschaftliche Organisation ist dadurch praktisch unmöglich.

Milliardenumsätze

Auch die Löhne sind in Callcentern in der Regel schlecht. Über 20 Franken in der Stunde zu verdienen, ist selten. Ein landesweiter Gesamtarbeitsvertrag existiert nicht. Immerhin: Konzerneigene «Inhouse»-Callcenter übernehmen in der Regel die im Mutterkonzern geltenden Arbeitsbedingungen, so etwa bei der Swisscom. Im Inbound-Bereich sei man zudem mit einzelnen Betrieben in Gesprächen oder Vertragsverhandlungen, sagt Daniel Münger. Aber: «Im Outbound-Bereich haben wir keinerlei Bewegung, was die rechtliche Lage der Arbeitenden angeht.»

Dabei wäre bei weitem genug Geld vorhanden, um allen Callcenter-Angestellten existenzsichernde Löhne zu zahlen: Den Umsatz, den die rund 800 Callcenter in der Schweiz machen, schätzt man auf 1,5 Milliarden Franken jährlich, bei steigender Tendenz. Bestätigte Zahlen gibt es jedoch keine. Dieter Fischer, Präsident vom Branchenverband Callnet.ch, kommentiert keine Zahlen, die nicht von ihm stammen, wie er am 24. Februar der NZZ sagte. Callnet.ch hat 120 Mitglieder, die rund zwei Drittel aller Beschäftigten in der Branche repräsentieren.

Krasse Verhältnisse im Tessin

Im Tessin wurden 2006 und 2007 bei Inspektionen in den Callcentern des Kantons gravierendste Mängel beim Arbeitnehmerschutz festgestellt. So verdienten in den inspizierten Betrieben zwei Drittel der Mitarbeitenden monatlich maximal 1500 Franken, knapp 20 Prozent maximal 2500 Franken. Von sechs besuchten Firmen hatten vier nicht einmal einen Fixlohn für ihre Angestellten, sondern bezahlten sie ausschliesslich auf Provisionsbasis. Nach diesen Kontrollen und erfolglosen Gesprächsversuchen mit den Arbeitgebern entschied man, für Callcenter-Mitarbeitende fortan verbindliche Mindestlöhne (wenn auch auf tiefem Niveau) einzuführen. Bis heute ist dem Tessin kein Kanton gefolgt.

Mindestlohn überfällig

Die unerträglichen Zustände in den Outbound-Betrieben und die mangelnde Aussicht auf einen GAV zeigen, dass ein flächendeckender Mindestlohn in der Callcenter-Branche (vor allem eben im Outbound-Bereich) mehr als nötig ist. Der Mindestlohn würde dem unsäglichen Lohndumping endlich einen Riegel vorschieben. Mitarbeitende, die heute nicht wissen, ob ihr mickriger Lohn für Lebensmittel und Miete reicht, kämen fortan deutlich einfacher über die Runden. Darum stimmen wir am 18. Mai Ja zur Mindestlohn-Initiative.

* Redaktionspraktikant

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