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Wann ist eine fristlose Kündigung gerechtfertigt?

„Ich hatte den Verdacht, einer meiner Arbeitskollegen hätte Geld aus der Kasse ge-stohlen, war mir aber nie wirklich sicher. Später stellte sich heraus, dass er 100 Franken an sich genommen hatte. Ich bin ein gewöhnlicher Arbeitnehmer ohne hö-here Funktion und wurde darauf nach 22 einwandfreien Dienstjahren fristlos ent-lassen, mit der Begründung, ich hätte meinen Verdacht nicht gemeldet.“

Die fristlose Kündigung ist in den Art. 337 – 337d OR geregelt. Damit eine fristlose Ent-lassung gerechtfertigt ist, muss der Arbeitgeber umgehend reagieren und die Entlassung innert zwei bis drei Tagen, nachdem er Kenntnis vom Vorfall erhalten hat, aussprechen. Weiter muss nach Art. 337 Abs. 1 OR ein wichtiger Grund für die fristlose Auflösung des Arbeitsverhältnisses vorliegen. Nach Abs. 2 liegt ein solcher dann vor, wenn dem Arbeit-geber nach Treu und Glauben nicht zuzumuten ist, das Arbeitsverhältnis noch mindestens bis zum nächsten ordentlichen Kündigungstermin oder bis Ablauf des befristeten Vertrags weiterzuführen. Das bedeutet, dass aus objektiver Sicht das gegenseitige Vertrauen zwi-schen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zerstört oder schwer erschüttert worden sein muss. Es muss immer im Einzelfall geprüft werden, ob eine fristlose Entlassung gerechtfertigt ist oder nicht. Dabei kommt es auf die gesamten Umstände des Einzelfalls an, das heisst es spielen Faktoren wie die Intensität der Handlung, die Höhe des Deliktbetrags, die Dauer des Anstellungsverhältnisses und so weiter eine Rolle.

Durch das Arbeitsverhältnis entsteht zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber gemäss Art. 321a OR eine Pflicht zur Treue und Sorgfalt für den Arbeitnehmer. Dadurch ist ein Arbeit-nehmer verpflichtet, die Interessen des Arbeitgebers zu wahren, sofern ein Zusammen-hang mit dem Arbeitsverhältnis besteht. Somit ist der Umfang dieser Treuepflicht auch von der Funktion und den Aufgaben des Arbeitnehmers abhängig, was wiederum anhand des Einzelfalles zu prüfen ist. Das erforderliche Mass an Loyalität und deine Vertrauensstellung sind bei dir nicht so bedeutend, da du keine leitende Stellung innehast, weshalb bei dir nicht von einer generellen Meldepflicht ausgegangen werden kann. Und da du lediglich den Ver-dacht hattest, dein Kollege hätte etwas aus der Kasse gestohlen, verletzt du deine Treuepflicht gegenüber deinem Arbeitgeber nicht so sehr, da es sich nur um einen ungesicherten Verdacht handelte. Dass du also deinem Arbeitgeber keine Meldung über deinen Verdacht gemacht hast, rechtfertigt eine fristlose Entlassung nicht.

In deinem Fall muss zudem auch berücksichtigt werden, dass es sich beim gestohlenen Geld um einen Deliktsbetrag von geringer Höhe handelt. Da du zudem ein langjähriger und bewährter Mitarbeiter bist, muss die Hürde für eine fristlose Entlassung höher angesetzt werden, denn es stellt sich nun die Frage, ob eine solche überhaupt verhältnismässig ist. Hier ist das Vertrauen nicht so schwer und gravierend verletzt, dass deinem Arbeitgeber eine Weiterführung deines Arbeitsverhältnisses nicht mehr zumutbar ist. Eine fristlose Kündigung wäre etwa dann gerechtfertigt, wenn du vorgängig wegen eines anderen, frü-heren Vorfalls schriftlich verwarnt worden wärst. Da es sich bei dir aber um einen einmaligen Vorfall in deinen 22 Dienstjahren handelt, mag das Vertrauensverhältnis zwi-schen dir und deinem Arbeitgeber zwar beeinträchtigt sein, endgültig zerstört ist es aber nicht. Die fristlose Entlassung ist also nicht gerechtfertigt.

Du kannst gegen die ungerechtfertigte Entlassung nach Art. 337c OR vorgehen. Danach hast du einen Anspruch auf Ersatz dessen, was du in deiner ordentlichen Kündigungsfrist verdient hättest, das heisst Lohn samt Nebenleistungen wie 13. Monatslohn, Spesenpau-schalen etc. Auch kannst du eine Entschädigung in der Höhe von maximal sechs Monats-löhnen geltend machen (Art. 337c Abs. 3 OR). Wichtig ist, dass du sofort und schriftlich gegen die Entlassung protestierst und deine Weiterarbeit anbietest. Dein Arbeitsverhältnis ist aber im Zeitpunkt der fristlosen Entlassung beendet, auch wenn diese ungerechtfertigt war. Du hast keinen Anspruch auf weitere Anstellung.

Olivia Schorer
Bachelor of Law

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