Digitale Souveränität

Der steinige Weg zur digitalen Souveränität

Im Juni hatte der Bund einen Auftrag für die Speicherung der Daten seiner Departemente und der Bundeskanzlei an vier US-Firmen (Amazon, IBM, Microsoft und Oracle) sowie den chinesischen Anbieter Alibaba vergeben. Google ging leer aus und reichte Beschwerde ein. Vor dem Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts stellten wir Jean-Henry Morin vom Institute of Information Service Science der Uni Genf die Frage nach der Daten-Hoheit. Morin weist auf den Rückstand  der Schweiz bei der digitalen Transformation hin.

Der Bund hat ausländische Firmen für die Datenspeicherung gewählt. Welche Risiken birgt dies?

Es gibt zahlreiche und massive Gefahren. Schon dass der Bund die Hoheit über unsere digitale Infrastruktur verliert, birgt ein enormes Risiko. Aber es gibt unzählige andere – im Zusammenhang mit der Überwachung und Sperrung von Daten und Diensten, mit der Auskunft sowie mit dem Schutz und der Integrität der Daten von Bürgerinnen und Bürgern und Verwaltung.

Die Schweiz kann also nicht im Einzelnen überprüfen, was mit den Daten auf diesen Plattformen geschieht?

Nein. Wie diese Daten behandelt werden, wird vollständig von den Verträgen mit den einzelnen Anbietern bestimmt werden. In diesen Verträgen – SLA, Service Level Agreements – sind die Dienste, Strafen, Nutzungsbedingungen etc. sehr detailliert festgehalten. Somit hängt alles von der Auslegung und Annahme der Verträge ab, die im Rahmen dieser Auslagerung von Dienstleistungen tatsächlich abgeschlossen werden.

Hat der Bund beim Abschluss solcher Verträge Handlungsspielraum?

Im Allgemeinen nicht. Die meisten dieser Anbieter sind grosse inter nationale Digital-Konzerne, die Standardverträge haben. Hier gibt es kaum Verhandlungsspielraum. Man kann versuchen, einige Details zu ändern. Aber man muss sich klar darüber sein, dass man es nicht mit Philanthropen zu tun hat, sondern mit technischen und juristischen Kriegsmaschinen. Verhandlungen werden wahrscheinlich kompliziert oder gar unmöglich sein.

Der Entscheid für Alibaba erstaunt auch deshalb, weil man um die Staatsnähe chinesischer Firmen weiss. Gerät auch die Schweiz unter die wachsamen Augen der chinesischen Regierung?

Das Vorgehen der Schweiz ist äusserst naiv. Wir wissen, wie sich China in Sachen Demokratie verhält. Und dank der Enthüllungen von Edward Snowden 2013 wissen wir auch, wie sich die USA verhalten. Es gibt also keine Zweifel an möglichen problematischen Situationen.

Könnte die Schweiz in technischer Hinsicht mit den ausländischen Konzernen mithalten?

Das Cloud-Management für ein kleines Land wie die Schweiz, die bei der Innovation einen internationalen Spitzenrang belegt, ist technisch gesehen keine Herausforderung. Aus technischer Sicht stellt sich die Frage gar nicht: Wir haben alles, was es für die digitale Souveränität braucht.

Worauf ist der Rückstand der Schweiz also zurückzuführen?

Der riesige Rückstand ist politisch gemacht. Er ist auf das völlige Fehlen von Führung und Governance in der digitalen Transformation zurückzuführen. In der Schweiz beginnen wir erst heute, 2021, davon zu sprechen. In den meisten Staaten und in der Europäischen Union war dies schon 2010 der Fall. Bereits dann erklärte die damalige Bundesrätin Doris Leuthard, die Schweiz sei im Rückstand. Elf Jahre später ist dieses Problem leider immer noch nicht angekommen. Und heute beginnen wir, die Konsequenzen daraus zu spüren.

2020 lehnte es der Bundesrat ab, eine eigene schweizerische Infrastruktur zu entwickeln. Wie beurteilen Sie diesen Entscheid?

Er ist katastrophal und unverständlich. Einige Monate zuvor hatte der Bundesrat erklärt, er wolle die Datensouveränität der Schweiz stärken und die Abhängigkeit von inter nationalen Cloud-Anbietern vermindern. 2021 hingegen vergibt der Bundesrat den Cloud-Auftrag an chinesische und amerikanische Anbieter – schlichtweg schizophren! Was ist in der Zwischenzeit geschehen?

Braucht es im aktuellen Kontext eine unabhängige öffentlich-rechtliche technische Infrastruktur, eine Art digitalen Service public?

Ich glaube, dass man diese Frage ohne vorherige öffentliche Diskussion nicht beantworten kann. Der digitale Service public ist eine von mehreren Möglichkeiten. Aber wir müssen in der Lage sein, als Gesellschaft darüber zu diskutieren, damit wir endlich vorwärtskommen können. Gelangt eine demokratisch geführte öffentliche Debatte zum Schluss, dass eine Auslagerung an ausländische Unternehmen die Lösung ist … dann einverstanden, gehen wir in diese Richtung. Wenn sie hingegen darauf hinausläuft, dass wir eine Form von Hoheit in diesem Bereich und einen digitalen Service public benötigen, dann müssen wir alles ausschliessen, was in die Richtung der jüngsten Entwicklungen geht. Und wir müssen eine Infrastruktur und eine entsprechende Governance aufbauen, um dieses Ziel zu erreichen.

Wie stellen Sie sich eine solche öffentliche Struktur vor?

Wer wird Eigentümer der Daten sein? Wer ist dafür zuständig? Wo werden die Daten aufbewahrt? Wer hat Zugang darauf? – Diese Fragen müssen zwingend in einer Diskus sion beantwortet werden. Dabei müssen die Kriterien für eine Ausschreibung oder eine technische Realisierung – falls die neue Struktur vom Bund verwaltet wird – definiert werden. Es braucht deshalb zuerst und dringend eine Debatte über die Art von digitaler Gesellschaft, die wir aufbauen und den künftigen Generationen hinterlassen wollen.

Sie unterstützen die Idee einer Volks initiative zur digitalen Souveränität. Hat diese zum Ziel, die bisher lückenhafte Diskussion neu zu lancieren?

Ja. Wir beginnen mit dem, was in diesem Sommer mit der Vergabe an die Giganten aus den USA und China geschah. Diese Entscheide müssen sicherlich in Frage gestellt werden. Wir sind uns aber bewusst, dass es Zeit braucht, um eine Initiative zu lancieren. Eines unserer Ziele ist es jedoch, öffentliche Diskussionen anzustossen, an der nicht nur die Digitalisierungslobbys und ETHs teilnehmen, sondern auch die Universitäten, die Hochschulen und die Zivilgesellschaft. Langfristiges Ziel ist es, dass die Fragen unserer digitalen Souveränität rechtlich verankert werden, beispielsweise in der Verfassung.

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