Mattea Meyer zur KITA-Initiative

Kitas sind eigentlich öffentliche Infrastruktur

Die Situation ist klar: In der Schweiz gibt es zu wenig Tagesbetreuungsplätze für Kinder. Und sie sind für Familien oft zu teuer. Die von syndicom unterstützte Kita-Initiative will Abhilfe schaffen und fordert ein ausreichendes Angebot an Betreuungsplätzen im ganzen Land. Mit angemessenen Löhnen und guten Arbeitsbedingungen. Unsere neue Kommunikationsleiterin Romi Hofer hat sich mit Mattea Meyer, CoPräsidentin der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz, getroffen, um sich über den Gesetzesvorschlag auszutauschen.
 

«Eine gute Betreuung hängt stark von den Arbeitsbedingungen in den Kindertagesstätten ab. Die Elternbeiträge zu senken, ohne gleichzeitig die Arbeitsbedingungen zu verbessern, ist keine nachhaltige Lösung. Deshalb fordert die Krippeninitiative beides.» 


Romi Hofer: Die Unterschriftensammlung für die Kita-Initiative für bezahlbare Kinderbetreuung ist in vollem Gang. Stellen Sie uns das Projekt einmal genauer vor?

Mattea Meyer: Als Mutter kleiner Kinder weiss ich, wie schwierig es ist, einen guten Kita-Platz zu finden. Nicht nur das mangelnde Angebot ist ein Problem, sondern auch die Kosten. Viele Eltern können sich schlicht keine familienergänzende Kinderbetreuung leisten. Das führt dazu, dass insbesondere Frauen ihre Erwerbsarbeit ganz oder teilweise aufgeben, oft nur ein kleines Einkommen haben und später eine tiefere Rente.
Mit der Kita-Initiative gehen wir diese Probleme an. Wir stellen sicher, dass die familienergänzende Kinderbetreuung für alle Familien in der Schweiz zugänglich und bezahlbar ist. Dafür verpflichten wir die Kantone, ein ausreichendes und gutes Angebot zu schaffen.
In Zukunft sollen nicht mehr die Eltern die Hauptlast tragen. Neu soll die Finanzierung solidarisch über das Steuersystem erfolgen und der Bund zwei Drittel der Kosten übernehmen. Den dritten Drittel werden sich die Kantone, Gemeinden und Eltern teilen. Die Betreuungskosten für die Eltern dürfen maximal zehn Prozent des Familieneinkommens betragen.
Die Initiative stärkt auch die Wahlfreiheit der Eltern. Sie fördert Tagesfamilien, Kitas, Horte und schulergänzende Angebote gleichermassen. Zusätzlich verankern wir gute Arbeitsbedingungen.


Die Kitas sind am Limit: starker Druck, sehr tiefe Löhne und grosser Mangel an ausgebildetem Personal. Wie ist es so weit gekommen und weshalb muss jetzt in dieser Branche – die in den meisten Kantonen ohne GAV ist – etwas geschehen?

Wer schon einmal vier Kinder gleichzeitig betreut hat, weiss, wie anspruchsvoll das ist. Doch der tiefe Lohn und die schlechten Arbeitsbedingungen stehen in keinem Verhältnis zu dieser unverzichtbaren Arbeit. Wie in anderen Berufen, die vor allem von Frauen ausgeübt werden, mangelt es an Wertschätzung. Die Betreuer*innen sind am Anschlag und viele wechseln früh den Beruf. Es braucht bessere Arbeitsbedingungen, sodass sich mehr Menschen für eine Ausbildung in der Betreuung begeistern lassen. Gerade Gesamtarbeitsverträge könnten die Arbeitsbedingungen verbessern.


Der Verband Kinderbetreuung Schweiz (Kibesuisse) hat beschlossen, die Initiative nicht zu unterstützen. Er kritisiert, der Entwicklung der Kinder und Qualität der Betreuung würde zu wenig Rechnung getragen. Verstehen Sie diese Haltung?

Gute Betreuung ist immer auch gute Bildung. Indem die Kita-Initiative bessere Arbeitsbedingungen fordert, trägt sie dazu bei, dass sich das Personal besser um die Bildung der Kinder kümmern kann. Kibesuisse hätte sich gewünscht, dass der Aspekt der vorschulischen Bildung noch stärker im Zentrum steht. Kibesuisse ist zwar nicht im Initiativkomitee vertreten, begrüsst aber die Initiative. Verbandspräsidentin Franziska Roth etwa engagiert sich im Unterstützungskomitee.


Für die Familienpolitik sind hauptsächlich Kantone und Gemeinden zuständig. Welche Vorteile hat ein neues Modell, in dem der Bund einen grösseren Teil der Kosten übernimmt?

Ohne familienergänzende Kinderbetreuung würde die gesamte Wirtschaft zusammenbrechen. Kitas gehören eigentlich zur öffentlichen Infrastruktur wie Schulen oder die SBB. Deshalb sollen die Kosten auch zu einem grossen Teil durch den Bund und die Kantone getragen werden. Das macht auch volkswirtschaftlich Sinn. Ich habe nie verstanden, warum rechte Politiker*innen zwar über Fachkräftemangel klagen, sich aber gegen mehr Kita-Plätze aussprechen. Die Finanzierung über den Bund stellt sicher, dass nicht finanziell schwächere Gemeinden mit vielen jungen Familien besonders belastet werden.


Ein Rechtsgutachten von 2021 befasst sich mit den Zuständigkeiten des Bundes in der familien- und schulergänzenden Kinderbetreuung. Es zeigt, dass der Bund viel mehr tun könnte, wenn er diese auch als Gleichstellungs- und als Arbeitsmarktpolitik verstehen würde. Ist es nicht an der Zeit, Rahmenbedingungen für eine kohärente nationale Familienpolitik zu setzen und Vorgaben zu Arbeitsbedingungen in der Branche zu machen?

Absolut. Wir setzen uns schon seit langem für eine stärkere Koordination des Bundes bei der Familienpolitik ein. Grosse kantonale Unterschiede machen in der mobilen Schweizer Gesellschaft je länger, je weniger Sinn und sind auch ungerecht. Und unsere Initiative schreibt explizit vor, dass es gute Arbeitsbedingungen braucht.


Die Gegner kritisieren die Möglichkeit für die Kantone, dem Einkommen der Eltern entsprechend eine kostenlose Betreuung anzubieten. Weshalb soll den Kantonen diese Möglichkeit aber offenstehen?

Eine qualitativ gute familienergänzende Kinderbetreuung fördert die Entwicklung der Kinder. Frühe Bildung legt den Grundstein für den späteren schulischen und beruflichen Weg und stärkt Kinder aus sozial und finanziell benachteiligten Familien besonders. Ich finde es deshalb richtig, wenn Kantone und Gemeinden die vorschulische Betreuung auch kostenlos anbieten wollen.


Eine Studie von BAK Economics zeigt ebenfalls, dass eine verstärkte Unterstützung der frühkindlichen Bildung und Betreuung für die Gesamtwirtschaft eine exponenzielle Wirkung hätte. Sind weitere positive indirekte Wirkungen zu erwarten?

Aus verschiedenen Studien wissen wir, dass gerade Frauen, die gerne ihr Arbeitspensum erhöhen möchten, auf den Arbeitsmarkt zurückkehren. Das wirkt dem Fachkräftemangel entgegen und führt zu zusätzlichen Steuereinkünften. Die öffentlichen Investitionen in die familienergänzende Kinderbetreuung lohnen sich für alle.


Schliesslich: Sollte man nicht noch weiter gehen und die familienergänzende Kinderbetreuung als Service public betrachten (mit den damit einhergehenden Verfassungsänderungen)?

Einverstanden. Familienexterne Kinderbetreuung ist gesellschaftlich notwendig und sollte Teil der Grundversorgung sein. Mehr öffentliche Gelder für familienexterne Kinderbetreuung und ein qualitativ gutes Angebot bedeuten mehr Investitionen in eine gleichgestellte und soziale Zukunft.
 

Das Interview ist im syndicom-Magazin Nr. 28 erschienen

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