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Wenn ein Algorithmus das Bewerbungsdossier liest

Ich war über 30 Jahre in der Druckerei. Diese musste schliessen, und ich habe mich bei der Arbeitslosenkasse angemeldet. In einem Kurs habe ich ein Bewerbungsdossier erstellt. Trotz zahlreicher Bewerbungen erhalte ich nur Absagen. Ich weiss, dass es in meinem Alter, 55, und mit meinem Beruf schwierig ist. Doch habe ich nun gelesen, dass in vielen grösseren Firmen die Bewerbungen gar nicht mehr angeschaut werden, sondern ein Algorithmus das macht. Stimmt das?

Ja, Algorithmen werden in der Arbeitswelt immer häufiger eingesetzt. Gerade im Bewerbungsprozess werden dafür Kriterien vordefiniert (sogenannte Keywords), um die offene Stelle optimal besetzen zu können. Erfüllt dein Lebenslauf gewisse Kriterien nicht, so wird dein Dossier automatisch ausgeschieden. Dies erhöht die Gefahr der Diskriminierung bei der Stellensuche aufgrund des Alters, des Geschlechts, der Nationalität, Familiensituation (verheiratet, Kinder) etc.

Darauf haben sie uns im Bewerbungskurs nicht hingewiesen. Ich weiss nicht, ob mein Dossier von einem Algorithmus oder von der Personalabteilung geprüft wird und welche Kriterien bei der Auswahl gelten. Könnte ich denn mein Dossier entsprechend anpassen und z. B. das Alter und die Nationalität nicht angeben?

Grundsätzlich gibt es da keine Vorschriften. Aber diese Angaben können für den Arbeitgeber wichtig sein. Die Algorithmen suchen also anhand dieser Keywords. Fehlen sie in den Unterlagen, wird die Bewerbung ausgeschieden. Hast du zudem ein Foto im Lebenslauf, kann der Algo rithmus bei Verwendung einer automatisierten Gesichtserkennung Rückschlüsse auf dein Alter machen. Diese Software wird immer häufiger eingesetzt, obschon bekannt ist, dass sie bloss Stereotypen erkennt und daher nicht aussagekräftig ist. Letztlich übernimmt der Algorithmus die Vorurteile der Personen, die die Kriterien festlegen. Und ein Algorithmus erkennt nur diejenigen Daten, die ihm zur Verfügung stehen. Je weniger dies sind, desto subjektiver wird das Auswahlverfahren.

Wenn das so ist, habe ich kaum eine Chance, eine Stelle zu finden. So ein Algorithmus ist doch diskriminierend. Kann man sich nicht juristisch dagegen zur Wehr setzen?

Du hast die Möglichkeit, gestützt auf Art. 28 ZGB eine Persönlichkeitsverletzung geltend zu machen. Diese muss widerrechtlich sein und hängt somit davon ab, ob der potenzielle Arbeitgeber überwiegende Interessen geltend machen kann oder nicht. Selbst wenn du beweisen kannst, dass die Absage nur wegen deines Alters erfolgt ist, hast du keinen Anspruch auf eine Anstellung. Du kannst nur eine Genugtuung gestützt auf Art. 28a ZGB verlangen. Doch gibt es diesbezüglich noch keine Entscheide des Bundesgerichts. Dies, weil der Arbeitgeber seine Absage nicht begründen muss, und eine Diskriminierung daher kaum beweisbar ist.
 

syndicom magazin Nr. 32 - Die Proleten des Algorithmus

Für mehr Mitsprache beim Einsatz von Algorithmen in der Arbeitswelt

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