Die Zukunft der Intelligenz ist künstlich
Was für den arbeitenden Menschen dabei auf dem Spiel steht
Es bedarf einer informierten, aufgeklärten Debatte in der Öffentlichkeit über die Chancen und Risiken von KI. Dazu gehört auch die Frage, wie die Gesellschaft einen Rückgang der Beschäftigung in einzelnen Berufsgruppen bei der gleichzeitigen Entstehung völlig neuer Berufsbilder bestmöglich bewältigen kann.
Die Zukunft ist menschenfreundlich
Der Einsatz von KI birgt viele Chancen, wie folgende Beispiele zeigen.
Ohne KI ist die Klimakrise nicht zu bewältigen. Digitale Technologien können erheblich dazu beitragen, Umwelt-, Ressourcen- und Klimaschutz voranzubringen, die Artenvielfalt zu erhalten sowie Luft, Böden und Wasser sauberer zu machen. In «Smart City»-Städten beispielsweise übernimmt KI die Aufgabe, durch Verknüpfen von Daten der Bevölkerung hohe Lebensqualität bei minimalem Ressourcenverbrauch zu bieten. Mit den vielfältigen Chancen der KI-basierten Innovationen ist gleichzeitig eine Verantwortung verbunden: Mögliche Risiken wie zum Beispiel wachsender Energieverbrauch, Rebound-Effekte (wenn das Einsparpotenzial von Effizienzsteigerungen nicht oder nur teilweise verwirklicht werden kann) oder Ressourcensicherheit müssen im Blick behalten werden.
Bei der Krebsdiagnose sowie bei der Diagnose seltener Krankheiten unterstützt KI die Ärzt*innen und Radiolog*innen. Ein Vergleich von Mensch und Maschine zeigt: Der Algorithmus trifft zu 90 Prozent die richtige Diagnose, Radiolog*innen dagegen schaffen dies nur in der Hälfte aller Fälle. Blinde können dank KI wieder die Emotionen ihrer Mitmenschen erkennen und das Geschehen im Umfeld wahrnehmen. Taubstumme erhalten die Chance, ihren Aktionsraum deutlich zu erweitern – die Integration von Übersetzungsdiensten mit einem Gebärdensprachen-Avatar macht das möglich. Wissenschaftler*innen entwickeln das Chirurgische Cockpit, ein umfassendes Assistenzsystem, das sämtliche Arbeitsabläufe im Operationssaal überwacht und die Chirurg*innen von der Informationsanalyse über die Therapieentscheidung bis hin zur Therapiedurchführung unterstützt.
Die IT-Abteilungen von Unternehmen zählen weltweit zu den wichtigsten Nutzenden von KI. Sie überwachen mit KI die Sicherheit der IT-Systeme, entdecken und verhindern potenzielle Hackerangriffe. KI-Lösungen analysieren rund um die Uhr automatisch und in Echtzeit Verhaltensmuster und lernen dabei. Werden verdächtige Vorgänge und mögliche Bedrohungen entdeckt, erhalten IT-Administrator*innen Alarmhinweise und können dann Gegenmassnahmen einleiten. Fortgeschrittene Sicherheitsanbietende nutzen Deep Learning, um bisher unbekannte Malware und Cyberangriffe abzuwehren. Sie unterstützen staatliche Verwaltungen, Unternehmen der Gesundheitswirtschaft und Finanzdienstleister, die besonders hohe Anforderungen an die Sicherheit ihrer IT-Systeme stellen. Der Mensch konzentriert sich auf das Qualitätsmanagement der Daten und die Behandlung von Fehlalarmen.
Chatbots erleichtern die Personalrekrutierung. Sie dienen dazu, die Fragen von potenziellen Angestellten zu beantworten, die zu ausgeschriebenen Stellen entstehen. Der Nutzen solcher Lösungen liegt auf der Hand: Personalmanager*innen können sich auf die besonders interessierten Kandidierenden konzentrieren.
In Sektoren, in denen Arbeitskräfte sehr knapp werden, wird Wachstum durch Robotik überhaupt erst möglich. In vielen Lebensbereichen, wie z. B. der Altenpflege und Krankenversorgung, gibt es nicht genug Arbeitskräfte, um den stetig steigenden Bedarf zu decken. Hier müssen Roboter in die Bresche springen, um den Pflegebedarf durch die Übernahme von Routineaufgaben zu unterstützen. Die alternde Gesellschaft wird den Bedarf an Robotik in den kommenden Jahren zusätzlich verstärken.
Die Kontrolle geht verloren
Der Einsatz von KI birgt auch Risiken, wie folgende fünf Beispiele zeigen.
Alles, was mittels klar definierter Entscheidungsroutinen abgearbeitet werden kann, wird früher oder später mit Hilfe von grossen Datenpools und Algorithmen ausführbar sein. Aber sind dies dann überhaupt noch Entscheidungen? Sind es nicht eher intelligente Routinen? Dies ist nicht nur eine begriffliche Frage. Diese Frage ist wichtig dafür, wie wir über Entscheidungen von Menschen denken und inwiefern wir den Menschen als Entscheidungsträgerin und Souverän wertschätzen. Die grösste Herausforderung in der demokratischen Gesellschaft ist darin zu sehen, dass sich mit der breiten Nutzung von Big Data und KI die gesellschaftlichen Entscheidungsprozesse und -routinen neu justieren – inklusive der vorbereitenden, begleitenden oder kommentierenden Information und Kommunikation.
In jüngster Zeit ist das Thema der «Fake News» intensiv diskutiert worden, auch auf der Ebene neuer Gesetze gegen deren Verbreitung. Die Sorge, dass sich vor allem über Soziale Medien Nachrichten ohne Wahrheitsgehalt weiterverbreiten und damit demokratische Prozesse wie Wahlen oder Referenden beeinflussen, kam insbesondere in der Nachbetrachtung der US-Präsidentschaftswahlen 2016 hoch. Ein zunächst für viel Aufregung sorgender Artikel über Cambridge Analytica, die über granulare Analysen von Zielgruppen auf Facebook einen grossen Einfluss zugunsten Trumps ausgeübt haben will, hat sich bei näherer Betrachtung selbst als deutlich aufgebauscht herausgestellt.
Einen eindeutig negativen Effekt auf die Informations- und Meinungsfreiheit hat der technische Fortschritt durch ausgebaute Zensur- und Überwachungsmassnahmen unter Einbezug biometrischer Daten (z. B. Gesichtserkennungssysteme). Die Möglichkeit, in viele Systeme über Backdoors und Exploits einzudringen, nutzen nicht nur Geheimdienste, sondern auch Repressions- und Zensurinstitutionen autoritär verfasster Länder und schliesslich auch Kriminelle.
Big Data und KI werden dazu führen, dass zahlreiche Tätigkeiten nicht mehr auf den Arbeitsmärkten nachgefragt werden. So viel ist sicher. Welche und in welchem Ausmass, wie schnell und wo, hierzu gibt es durchaus unterschiedliche Prognosen, sodass ein detaillierter arbeitsmarktpolitischer Masterplan der KI nicht möglich ist. Einige Tendenzen sind allerdings absehbar: Betroffen sind sicher auch solche Berufsgruppen, in denen sich bisher viele Mitarbeitende als Wissensarbeitende auf der sicheren Seite wähnten. Gerade diese Berufsgruppen – von Sachbearbeitung bis Wirtschaftsprüfung – stehen aktuell im Fokus. KI ist immer dann besonders effektiv, wenn es darum geht, Routineaufgaben zu erledigen, graduell daraus zu lernen und komplexere Tätigkeiten anzutrainieren. Arbeitsplätze mit solchen Aufgaben sind bedroht – vor allem im Niedriglohnsektor, wo häufig repetitive Aufgaben ausgeführt werden. Aber auch Büroarbeitsplätze bleiben davon nicht verschont, wenn die Aufgaben durch KI günstiger und schneller erledigt werden können. In erster Linie sind Stellen gefährdet, die bereits aus Preisgründen offshore ausgelagert worden sind. Dazu gehören beispielsweise Tausende von Compliance-Stellen bei Grossbanken, weil diese verstärkt KI einsetzen werden, um der Veränderungen im regulatorischen Umfeld Herr zu werden.
FAZIT: Es braucht verbindliche Regeln
syndicom anerkennt das Potenzial von Künstlicher Intelligenz (KI) für den gesellschaftlichen Fortschritt, wenn die KI zugunsten der Menschen eingesetzt wird. syndicom beteiligt sich aktiv am gesellschaftlichen Diskurs, damit das Wohlergehen der Menschen im Vordergrund steht, wenn KI-Systeme designt, entwickelt, eingeführt und eingesetzt werden.
Das Zusammenspiel zwischen Mensch und KI-System birgt die Chance, das Verhältnis der Lebensbereiche zueinander neu zu denken und zu gestalten, besonders in Verbindung mit einer bedeutenden Arbeitszeitreduktion ohne Einkommenseinbussen. Technologie ist nie neutral, sondern wird in einem bestimmten wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Kontext produziert. Damit die Chancen genützt und gleichzeitig die Risiken im Zusammenhang mit KI minimiert werden können, will syndicom die Entwicklung und Anwendung von KI verbindlich regeln. Die folgenden Leitprinzipien aus der KI-Resolution machen einen Anfang.