Abstimmung «AHV21»

Wir müssen die Vorlage «AHV21» stoppen

Romi Hofer

Der historische Kampf für einen Altersruhestand mit einer würdigen Rente für alle geht von der Gewerkschaftsbewegung aus. Er wurde schon immer gegen konservative Widerstände geführt. – Beim Landesstreik 1918 war die spätere AHV eine Hauptforderung, und seit ihrer Einführung 1947 braucht sie unseren Schutz. Das Abbaupaket «AHV21» greift nun unser einziges soziales Altersvorsorgesystem frontal an und muss gestoppt werden. Ein Gespräch mit Gabriela Medici, Rentenexpertin beim Gewerkschaftsbund, und Patrizia Mordini, Leiterin Gleichstellung in der GL bei syndicom, moderiert von Romi Hofer, Leiterin Kommunikation bei syndicom, über die Gefährlichkeit der Vorlage und wie den teils zynischen Argumenten begegnet werden kann.

Warum braucht es die gebündelte Kraft der Gewerkschaften im Abstimmungskampf gegen die Rentenreform «AHV21»?

Gabriela Medici: Diese Vorlage zielt in die komplett falsche Richtung, sie will eine Schwächung der AHV anstatt einer Stärkung. Die AHV ist eine hochsolidarische und nachhaltige Errungenschaft, die es mit allen Mitteln zu verteidigen gilt. Mit der Abstimmung am 25. September stehen wir an einem Scheideweg. Wird die Reform angenommen, ist die Erhöhung des Rentenalters für Frauen nur der Anfang, die Erhöhung des Rentenalters für alle auf 67 ist bereits vorprogrammiert. Wir haben einen schleichenden Prozess hin zu einer Privatisierung und Entsolidarisierung in der Altersvorsorge.

Patrizia Mordini: Apropos Frauen: Sie erhalten bereits heute einen Drittel weniger Rente als Männer. Dabei können sie fast nur auf die AHV zählen. Diese Rentenlücke spiegelt die ungleiche Verteilung der Erwerbschancen. Frauen übernehmen häufig Arbeiten in anstrengenden, aber schlechter bezahlten Berufen. Auch sind es hauptsächlich Frauen, die sich um die Kinder und kranke Angehörige kümmern. Deshalb arbeiten sie öfter Teilzeit, was ebenfalls zu tieferen Einkommen führt. Mit einer Erhöhung des Frauenrentenalters soll noch zusätzlich auf ihrem Buckel gespart werden. Die Frauen müssten mit Rentenverlusten von 1200 Franken jährlich rechnen, sofern sie überhaupt bis 65 arbeiten können.

Gabriela Medici: Absolut. Die Hauptlast tragen hier die Frauen, ja. Aber Ehepaare sind genauso betroffen. Heute haben sie eine plafonierte AHVRente, mit der «AHV21»Reform werden auch sie eine Kürzung haben. Nicht zu vergessen, dass mit «AHV21» auch noch die Mehrwertsteuer erhöht werden soll. Zusammen mit dem kommenden Krankenkassenschock im Herbst und der Teuerung werden – insbesondere, wenn die Löhne nicht ausreichend nachziehen – die einkommensschwachen Personen und Familien stark unter Druck geraten.

Was bedeutet dies konkret für unsere Mitglieder?

Patrizia Mordini: Viele unserer Mitglieder haben eine körperlich anstrengende Arbeit, bei der es schon jetzt eine Herausforderung ist, bis zum Pensionsalter ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen zu arbeiten. Eine Frühpensionierung kommt bei vielen aufgrund des Einkommens nicht in Frage. Ein erhöhtes Rentenalter wäre für sie fatal.

Gabriela Medici: Dazu ist die Arbeitslosenquote nirgends so hoch wie bei den 60+. Mit anderen Worten, wenn Frühpensionierung mit tieferer Rente nicht in Frage kommt: ein Jobwechsel ist für diese Personen meistens auch keine Option. Die zweite Säule kann diese Lücke übrigens nicht schliessen, und die dritte Säule darf man gar nicht erst erwähnen. Nur ca. 10 % der Bevölkerung können hier überhaupt den Maximalbetrag einzahlen.

Patrizia Mordini: Der drohende AHV-Abbau betrifft auch viele unserer freischaffenden Mitglieder. Auch für sie funktioniert die zweite Säule in der Regel nicht und eine stabile AHV ist gerade für sie essenziell. Wir müssen die Vorlage «AHV21» stoppen.

Dann liegt das Problem eigentlich gar nicht bei der AHV, sondern bei der zweiten Säule ...

Gabriela Medici: Richtig, die grosse Rentenlücke klafft in der 2. Säule. Die Lücke zwischen Männern und Frauen beträgt in der AHV 3 Prozent, bei den Pensionskassen volle 63 Prozent. Das Problem der Rentenlücke der Frauen muss jedoch trotzdem auch in der AHV mitgedacht werden, denn fast ein Drittel der erwerbstätigen Frauen sind gar nicht in einer Pensionskasse. Und in der 2. Säule vergeht viel Zeit, bis eine Massnahme zu höheren Renten führt. Eine Schwächung der AHV liegt in dieser Konstellation einfach nicht drin.
 

«Wenn diese Reform durchkommt, ist das Rentenalter 67 für alle ein Fait accompli!»**


Die Werbung für «AHV21» behauptet, die AHV sei kein stabiles System und ihre Finanzierung wäre nicht gesichert.

Patrizia Mordini: Das stimmt einfach nicht und wird uns von bürgerlicher Seite seit Jahren falsch eingebläut! Die AHV ist für die nächsten 10 Jahre gesichert und schreibt schwarze Zahlen. Sie ist solide und fair.

Gabriela Medici: Die Geschichte der Falschprognose der AHV ist etwa so alt wie die AHV selbst. Allein im letzten Jahr hat sie tatsächlich 2,5 Milliarden Überschuss generiert. Die AHV ist eine Staatsaufgabe und als solche in der Verfassung verankert. Die AHV kann gar nicht bankrottgehen, schon rein juristisch wäre dies gar nicht möglich.

Also ist den heutigen Jungen eine AHV-Rente sicher?

Gabriela Medici: Ja! Und gerade für die Jungen ist eine starke AHV besonders wichtig. Denn sie zahlen für ihre Rente viel weniger in die AHV ein, als wenn sie mittels dritter Säule für ihre Altersvorsorge allein sorgen müssten. Bei einer 20-jährigen Person mittleren Einkommens sprechen wir hier von einem Unterschied von fast einer Viertelmillion! Für Familien ist der AHVVorteil mit einem Betrag von 400 000 Franken noch grösser.

Eine Lanze für die AHV …

Gabriela Medici: In der Tat (lacht). Die AHV ist ein Zukunftsprojekt. In der AHV gibt es keinen Generationenkonflikt. Die AHV ist unglaublich solidarisch. Das heisst konkret, dass 92 % der Bevölkerung mehr aus der AHV erhalten, als sie einzahlen. Der Grund dafür ist, dass für Millionenboni unbegrenzt eingezahlt wird, diese machen die restlichen 8 % aus. Ein anderer Vorteil der solidarischen Umverteilung liegt darin, dass in der AHV die unbezahlte Care-Arbeit anerkannt wird. Es ist egal, ob sich Mann oder Frau um die Kinder kümmert, es ist egal ob Jung, Alt, Mann oder Frau einzahlt. Es geht nur darum, dass sich alle – inkl. Topmanagement – daran beteiligen, die AHV zu finanzieren. Gerade deshalb ist das Ziel der AHV so wichtig und muss endlich erreicht werden: existenzsichernde Renten für alle.

Zu guter Letzt: Welches Stammtisch- Argument mögt ihr nicht mehr hören?

Patrizia Mordini: Das Argument, es gehe bei der Angleichung des Rentenalters um Gleichberechtigung, weshalb wir das begrüssen müssten. Das nervt mich besonders. Das Gleichberechtigungsargument ist schlicht zynisch. Frauen haben immer noch tiefere Löhne, einen Drittel weniger Rente und sollen jetzt noch die AHV finanzieren.

Gabriela Medici: Mich ärgert wirklich, dass über die Altersvorsorge komplett losgelöst von der Rentenhöhe diskutiert wird. Massgebend dafür, wann Menschen in die Rente gehen, ist bereits heute nicht das im Gesetz festgelegte Alter, sondern die Rentenhöhe. Diejenigen, die bis zum Rentenalter arbeiten müssen, weil sie sich keine Frühpensionierung leisten können, haben eine massiv tiefere Rente als diejenigen, die frühzeitig in Rente gehen. So erhalten heute Männer, die bis 65 arbeiten müssen, weniger als 1800 Franken aus der Pensionskasse. Dagegen beziehen Männer, die sich mit 60 pensionieren lassen können, mehr als das Doppelte, also fast 4000 Franken, aus der Pensionskasse. Frühpensionierungen werden statistisch nach Branchen erhoben. Und die Branche, die am frühesten in die Pension geht, ist die Versicherungsund Finanzbranche. Also diejenigen, die Studien publizieren und behaupten, dass wir länger arbeiten sollen und mehr ansparen müssen, gehen selbst möglichst früher.


Das Interview ist erschienen im syndicom magazin Nr. 30

** Gabriela Medici

 

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