JA zum Medienpaket

Die Medienvielfalt zurückholen und absichern

Im Massnahmenpaket zugunsten der Medien stecken eine Vielzahl kleinteiliger Massnahmen – allesamt zielen sie auf den Erhalt und die Wiederherstellung von journalistischer Vielfalt. Gewerkschafterin Stephanie Vonarburg und Hauptstadt-Journalist Jürg Steiner schildern, wie sie zu den Massnahmen und dem Gesamtpaket stehen.


Benjamin von Wyl

Die Zentralen der grossen Schweizer Medienhäuser sind schick. In der NZZ-Redaktion erwarten einen die Porträts aller Chefredaktoren seit 1780, alles Männer. Für die TX Group verbaute Stararchitekt Shigeru Ban an der Zürcher Werdstras se 2000 Kubikmeter Fichtenholz. Die Adresse von CH Media im Aarauer Telliquartier ist zwar weniger gehoben und aus der Redaktion können die Journalist*innen in die Druckerei schielen – doch die Fensterfront, durch die sie das tun, beeindruckt. Wer sich mit der Entwicklung in den Medien auseinandersetzt, findet Konzerne wie diese auch nicht besonders sympathisch: Peter Wanner, der CH-Media-Verleger, errichtet seit den 1990er-Jahren ein Medienimperium aus Presse, Radios und Lokal-TV, das heute von Basel bis St. Gallen reicht. Die NZZ hat vor sieben Jahren ihre Druckerei geschlossen – 125 Mitarbeiter*innen verloren die Stelle. Die TX Group dominiert die Medien in der Romandie, dünnt die Medienvielfalt aus und hat gar Teile ihrer Human-Resources- und IT-Abteilungen nach Serbien ausgelagert. Die Hauptquartiere der Medienkonzerne erwecken nicht den Eindruck, dass der Journalismus öffentliche Unterstützung nötig hat. Doch das täuscht.

Journalismus verschwindet, unbemerkt

Das Schweizer Mediensystem ist gefährdet. Erfolgreich finanzierten Inserate und Abos die Presse im 20. Jahrhundert, doch das Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr. Alleine seit 2003 sind über 70 Zeitungen verschwunden oder fusioniert. In den letzten zehn Jahren ist das Geschäft mit Bezahlzeitungen regelrecht zerbröselt: Seit 2012 ist deren Auflage in der Schweiz um gut 40 Prozent eingebrochen. Statt zehn Zeitungen, die 2012 Tag für Tag mit Gewalt aus dem Briefkastenschlitz befreit wurden, werden heute nur noch sechs befreit. Von zehn Zeitungen, die 2012 in Beizen am Autobahnzubringer auf Leser*innen in der Znünipause warteten, warten heute noch sechs. Ohne öffentliche Unterstützung bleibt vielleicht das ganze Mediensystem hängen. Die Online-Flut aus der ganzen Welt sorgt nicht nur dafür, dass Facebook und Google mitverdienen und das Werbegeschäft dominieren. Wegen dieser Flut an Gratis-Inhalten spüren viele oft nicht, dass Journalismus verschwindet. Doch weder Social-Media-Influencer*innen noch Buzzfeed-Redaktor*innen werden je aus den Regionen berichten, wie es der Lokaljournalismus getan hat und weiterhin tut.

Das Massnahmenpaket für die Medien ist ein Kompromiss, der aus jahrelangen Debatten hervorging, in denen sich viele Anliegen kleiner und regionaler Medien durchgesetzt haben. Deshalb befürworten Journalist*innen von Lokalzeitungen und neuen Online-Projekten mit am vehementesten die Vorlage, die am 13. Februar zur Abstimmung kommt. Obwohl auch Konzerne wie die TX Group Unterstützung erhalten. Im Massnahmenpaket geht es um 120 Millionen Franken mehr, die der Medienbranche zugute kommen.

Das Paket ist vielgliedrig: Die Rabatte der Post für die Zustellung von Zeitungen werden von 30 Millionen auf 50 Millionen Franken pro Jahr erhöht. Diese sogenannt «indirekte Presseförderung» existiert seit der Gründung des Bundesstaates, sie wurde 1849 zeitgleich mit der eidgenössischen Post geschaffen. Auch Verbandszeitschriften, wie das syndicom-Magazin, geniessen bereits solche Zustellrabatte – und auch in der Sparte Verbandspresse ist eine Erhöhung von bisher 20 auf 30 Millionen Franken jährlich vorgesehen. Neu soll die Früh- und Sonntagszustellung von Zeitungen durch Private mit Rabatten von 40 Millionen Franken pro Jahr unterstützt werden.

Ein wirklich neuartiges Modell im Massnahmenpaket ist, dass Onlinemedien, welche Einnahmen mit Mitgliederbeiträgen oder Abos erzielen, öffentliches Geld erhalten – insgesamt 30 Millionen Franken jährlich. Diese Unterstützungen sind auf sieben Jahre beschränkt. Ohne Befristung erhalten bei einer Ja-Mehrheit am 13. Februar private Lokalradios und regionale Fernsehsender anteilmässig mehr Geld aus den Serafe-Gebühren. Aus demselben Topf sollen die Ausbildung, der Agenturjournalismus und der Presserat öffentlich unterstützt werden.

 

Gutes Kompromisspaket aus jahrelangen Debatten

«Das Positive überwiegt», sagt Stephanie Vonarburg, Vizepräsidentin und Leiterin Sektor Medien bei syndicom. Doch sie nennt auch negative Punkte: «Als Gewerkschaft fehlt uns die Verhandlungspflicht für einen GAV in der Medienbranche.» Diese war im Parlament chancenlos. Weiter sei es schmerzlich, dass kein Deckel, keine Beschränkung der Dividenden für Unternehmen, die Rabatte oder Subventionen abholen, vorgesehen ist. «Grosse, wohlhabende Verlage, die es eigentlich weniger nötig hätten, werden von dieser Vorlage ebenfalls profitieren», sagt Vonarburg. Immerhin wird auch dort wichtiger, unterstützenswerter Journalismus gemacht, und zudem werden kleinere und mittlere Medien proportional stärker unterstützt werden – und zwar massiv: Pro Abonnent*in erhält ein kleines Medium wohl bis zu zwanzig Mal so viel Geld wie die Konzerne.

Aus Gewerkschaftssicht eine sehr gute Nachricht sei die im Massnahmenpaket enthaltene GAV-Verhandlungspflicht für private Zeitungszustellfirmen, findet Vonarburg: «Wegen den harschen Arbeitsbedingungen in der Logistik ist das ein wichtiger Punkt.» In dieser Branche sind die Löhne tief und die Pensen oft klein. Der Medienbranche als Ganzes werden auch die Unterstützung von Presserat, Aus- und Weiterbildung und die stärkere Unterstützung für Keystone-SDA helfen. «Aber ganz oben bei den positiven Punkten ist die neue Förderung für Online-Medien», sagt Vonarburg. Diese sei ein wirklich innovatives Instrument – ein Mittel zur «Wiederherstellung der Medienvielfalt».

Überall neue Onlinemedien: national und regional

Viele der Massnahmen zielen darauf, dass das Mediensystem in der Schweiz nicht einknickt. Die Online-Medienförderung ist vorwärtsgerichtet: Weil lokale Medien online neben den internationalen Tech-Konzernen wie Facebook und Google eben kein grosses (Werbe-)Geschäft erwartet, sollen sie im Sinne des Service public gestützt und stabilisiert werden. Überall im Land sind in den letzten fünf Jahren digitale Plattformen für Journalismus entstanden: Republik und Heidi News bieten von Zürich und Genf aus recherchierte Hintergründe zum nationalen Geschehen. Mit der Satire-Plattform Petarde und dem Kulturmagazin Frida gehen bald weitere Onlinemedien an den Start. Auch fernab dieser Flaggschiffe mit schweizweiter Ausstrahlung entstehen in den Regionen unabhängige Lokalplattformen: Zentralplus berichtet aus Luzern und Zug, Bajour aus Basel-Stadt, Kolt aus Olten. Die meisten dieser neuen Projekte berichten nicht mehr über jede Vereinsversammlung, sie verstehen sich im besten Sinne als Rosinenpicker: Sie wollen dort nachhaken, wo den ausgedünnten Lokalredaktionen grosser Zeitungen die Zeit für Recherche fehlt.

Auch die Hauptstadt gehört in diese Reihe. Vergangenes Jahr hat die TX Group die Lokalredaktionen von Bund und Berner Zeitung zu einer einzigen verschmolzen – obwohl die Zeitungstitel als «Gefässe» weitergeführt werden, befürchten viele in Bern, dass die fehlende Konkurrenz zu einem Verlust an Debatte führt und auch die verbliebenen Journalist*innen weniger kritisch hinschauen. Darum arbeitet ein Team von Journalist*innen an einer Alternative: Die Hauptstadt berichtet ab diesem Frühling aus Bern und den umliegenden Gemeinden. 3308 Menschen vertrauen dem Projekt so sehr, dass sie bereits vor dem Start ein Abo lösten. Um selbsttragend zu sein, braucht das Lokalmedium mindestens 4000.

«Wir kalkulieren vorsichtshalber ohne die Online-Medienförderung», sagt Jürg Steiner vom Hauptstadt-Team, «Froh wären wir natürlich trotzdem.» Mit fünf Vollzeitstellen plant die Hauptstadt. «Kommt das Gesetz durch, könnten wir wohl zwei Journalistinnen, Journalisten mehr anstellen», sagt Steiner, «das gäbe uns natürlich von Beginn an mehr Kraft.» Sogar in Bern ist die Medienvielfalt gefährdet, doch dort gibt es immerhin Potenzial für ein kleines Medium wie die Hauptstadt – anders sieht es im ländlichen Raum und in Kleinstädten aus. «Kleine Zentren sind ein hartes Pflaster», sagt er, «ich stelle es mir schon in Langenthal schwierig vor, eine Alternative aufzubauen, so wie wir es in Bern probieren.»

 

Es braucht unbedingt Vielfalt im Lokalen

Steiner, der lange Jahre für die Berner Zeitung arbeitete, ist überzeugt, dass die «mediale Verarmung auf lokaler Ebene» Folgen für gesellschaftliche Diskussionen hat. «In der Schweiz, wo so vieles auf Gemeindeebene entschieden wird, braucht es unbedingt Medienvielfalt im Lokalen.»

Aus Steiners Warte würde das Massnahmenpaket auch eine Benachteiligung des Internetjournalismus gegenüber dem Gedruckten stoppen. Denn online gibt es heute keinerlei Stütze fürs Geschäft, wie es die Rabatte beim Verschicken von Zeitungen sind.

Das Massnahmenpaket würde aber nicht automatisch die Medienvielfalt wiederherstellen. Lokale Onlineprojekte bräuchten weiterhin lokalkundige Macher*innen und eine eigene Umsatzbasis, sagt Steiner: «Die Online- Medienförderung ist kein Angebot für Subventionsjäger. Man kann nicht irgendwo ein Medium gründen und der Staat zahlt das.» Mit ihr sei das Fortbestehen im Überlebenskampf einzig «ein wenig wahrscheinlicher». Für die Hauptstadt werde es jedenfalls ohnehin nicht bequem – egal, ob das Massnahmenpaket für die Medien kommt oder nicht.

Die Medien sind in echten Schwierigkeiten

Auch Steiner sieht die Abstimmungsvorlage als Kompromiss. In einer idealen Welt könnten sich Medien alleine über ihren Journalismus finanzieren. «Natürlich, wäre es ideal, es bräuchte das alles nicht. Doch die Medien sind in Schwierigkeiten.» Als Journalist möchte Steiner eigentlich eben gerade keine Unterstützung vom Staat annehmen. «Doch das Geld ist nicht an Inhalte gebunden. Medien, die die Regierung absetzen wollen, bekommen sie ebenso.» Zudem sei bei «Staatsgeldern» immerhin transparent, woher sie kommen. «Sonst sind es unbekannte Hintermänner oder -frauen, die Geld reinpumpen.»

Die Gratis-Anzeiger im Besitz von Christoph Blocher, von den Bodensee Nachrichten bis zum Tagblatt der Stadt Zürich, erreichen in der Deutschschweiz 918 000 Leser*innen. «Wenn das Medienpaket nicht durchkommt, steht die Medienversorgung vor einem Scherbenhaufen. Eine neue Vorlage würde viele Jahre brauchen – zu lange Zeit für viele Medien», sagt Stephanie Vonarburg zum Schluss des Gesprächs.
 

Dieser Artikel ist im syndicom-Magazin Nr. 27 vom 31. Januar 2022

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